„Man nannte mich den Kommunikator“
Tom Stromberg war Kulturchef der Expo 2000. Heute könnte er sich wieder eine Weltausstellung unter dem Motto „Mensch – Natur –Technik“ vorstellen, sagt er. Mit Greta als Botschafterin.
Herr Stromberg, viele in Hannover denken hier gern an die Expo vor 20 Jahren zurück. Wie ist das mit Ihnen? Sind das gute oder schlechte Erinnerungen?
Eine Zeit lang habe ich die Erinnerung an die Expo ausgeblendet. In den letzten Jahren sind aber ein paar Dinge wieder aufgetaucht, und ich ertappe mich dabei, häufiger über die Expo nachzudenken.
Was fällt Ihnen da so ein?
Zum Beispiel das Thema: „Mensch –Natur –Technik“ – wenn man das heute zum Thema einer Weltausstellung machen würde, vielleicht mit Greta Thunberg als Botschafterin, dann wäre man ganz schön weit vorne.
Waren Sie damals vielleicht zu weit vorne?
Martin Roth, der damals für den Themenpark der Expo verantwortlich war, sicherlich. Und wir von der Kultur zum Teil auch. Wir hatten junge, provokante Künstler dabei, die später weltberühmt geworden sind. Maurizio Cattelan etwa kannte damals kaum jemand.
Bevor Sie Kulturchef der Expo wurden, waren Sie Intendant des Frankfurter Theaters am Turm und Leiter des Festivals Experimenta 6. Haben Sie sich als künstlerischer Leiter des Kultur- und Ereignisprogramms der Expo 2000 beworben? Oder hat Sie jemand gefragt?
Um die Wahrheit zu sagen: Dass es eine Expo in Deutschland geben würde, hatte ich zwar schon einmal gehört. Ansonsten hatte ich mich überhaupt nicht dafür interessiert. Eines Tages tauchte Bernd Kauffmann, der damals Chef des Kulturrates war, bei mir im Theater am Turm in Frankfurt auf. Er schaute sich einen ganzen Tag lang das Theater an und quetschte mich ziemlich aus. Erst später ist mir klar geworden, dass der jemanden für die Expo sucht. Dann erst habe ich angefangen, mich näher mit dem Thema zu beschäftigen.
Und dann kam ein Angebot aus Hannover?
14 Tage später rief mich eine Mitarbeiterin des damaligen Expo-Geschäftsführers Theodor Diener an. Der bat mich nach Salzburg ins Café Tomaselli, das Flugticket lag schon bereit. In dem ganzen Gespräch ging es überhaupt nicht um Inhalte, sondern nur über die Vergütung und den Dienstwagen und Ähnliches. Da habe ich ihm gesagt, dass ich das alles nicht so interessant fände, sondern vielleicht zuerst mal nach Hannover reisen sollte, um mir die Situation vor Ort anzuschauen.
Und das hat Sie dann überzeugt?
Nicht sofort. Aber abends hat mich Martin Roth zum Essen eingeladen. Das war ein Gespräch auf Augenhöhe. Roth sagte mir, dass er jemanden brauchte, der sich für Kunst und Kultur einsetzt – auch als Gegengewicht zu der ganzen Orientierung auf die Wirtschaft. Er war der Anlass für mich zu sagen: Ich mache das.
Einen Dienstwagen haben Sie dann ja doch auch bekommen. Und ein Handy, um das ich Sie damals beneidet hatte. Dieses Klapphandy von Nokia, mit dem man Mails schreiben und ins Internet gehen konnte.
Genau, der Communicator. Ich war immer schon technikaffin und bin es auch heute noch. Man nannte mich damals übrigens auch den Kommunikator.
Manchmal mussten Sie tatsächlich einiges an Kommunikationsarbeit leisten. Etwa erklären, dass Sie 400 000 Mark für einen nur wenige Sekunden langen Jingle der Gruppe Kraftwerk ausgegeben haben.
Das war das Anstrengendste. Das Schlimmste aber war die Sache mit der französischen Theatergruppe Générik Vapeur, die bei einer Aktion versehentlich das Mahnmal für die ermordeten Juden an der hannoverschen Oper beschädigt hatte. Wegen Schändung wurden wir von der Polizei verhört, und später musste ich mich mit Ignaz Bubis am Frankfurter Flughafen in der Lufthansa-Lounge zu einem Versöhnungsgespräch treffen.
Und dann gab es noch die Sache mit den Chaostagen.
O ja. Drei Tage nachdem ich bei der Expo angefangen hatte, wurde ich von Architekturstudenten zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen. Die haben mich gefragt, wie ich zu den Chaostagen stehen würde. Ich habe geantwortet, dass ich den Chaostagen anbieten würde, einen Wagen für den täglichen Umzug auf dem Expogelände zu gestalten. Daraufhin nannten mich Journalisten ein „Sicherheitsrisiko für Niedersachsen“. Ein anderes schönes Erlebnis war mein Besuch mit Jobst Fiedler, dem früheren Oberstadtdirektor, in der Kneipe Schwule Sau. Natürlich war die Presse dort und hat fotografiert, wie wir in der Schwulen Sau Bier und Whisky tranken. Wir wollten zeigen, dass die Expo keine Berührungsängste hat.
Gibt es Menschen aus Ihrer Expo-Zeit, an die Sie gern zurückdenken?
Ja, etwa an Alexander Fahrenholtz, meinen Kollegen in der Kultur, und natürlich an Birgit Breuel, die unsere wichtigste Unterstützerin gegen alle Widrigkeiten war.
Die Expo war für Sie Karrierebeschleuniger. Danach wurden Sie Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Können Sie der Expo das verzeihen?
Ich muss sagen, dass ich schon vor der Expo auf dem Schirm der damaligen Hamburger Kulturpolitik war. Aber natürlich hat die Expo einen gewissen Prominenzeffekt gehabt. Plötzlich fand ich mein Gesicht auf irgendwelchen Titelseiten wieder.
Jetzt beraten Sie Theatermacher und andere Künstler. Haben Sie mit Ihrer Agentur durch Corona mehr zu tun oder weniger?
Das ist etwa gleich geblieben. Einerseits gibt es mehr zu tun, weil Verträge aufgelöst werden müssen, weil manche Künstler in Panik geraten und weil bei manchen Theatern jetzt der Organisationswahnsinn ausgebrochen ist. Andererseits fällt auch einiges weg. Für junge, freie Künstler ist das sehr problematisch, keine Frage.
Was glauben Sie, wie es mit der darstellenden Kunst nach Corona weitergehen wird? Wird dieser Corona-Stopp vielleicht irgendwann mehr als nur eine Unterbrechung gewesen sein?
Das Theater hat die Geburt des Kinofilms überlebt, das Theater hat das Fernsehen überlebt, das Theater überlebt das Internet, und das Theater wird auch Corona überleben.
So einfach?
Genau, so einfach.
Wenn Sie heute noch mal mit allem neu anfangen würden, wären Sie wieder beim Theater? Oder wären Sie dann Influencer?
Mich hat die Schnittstelle Theater und bildende Kunst immer sehr interessiert. Wenn ich heute noch mal anfangen würde, würde ich mich wohl mehr in den Bereich der bildenden Kunst trauen. Unter anderem, weil man Galerien und Ausstellungen schon nach kurzer Zeit problemlos wieder verlassen kann.
Anders als etwa einen 24-stündigen „Faust“ von Peter Stein bei der Expo.
Den habe ich nie ganz gesehen. Mal bin ich eingeschlafen, mal bin ich rausgegangen.
Hat Ihnen der Herr Stein das übel genommen?
Herr Stein hat mir immer alles übel genommen.
Von Interview: Ronald Meyer-Arlt
Quellenangabe: HAZ vom 20.06.2020, Seite 23