„Neun Stunden „Faust“ und Pferde-Oper“ Die WELT, 16.Januar 1999
Pausen wie in Bayreuth: Ein ambitioniertes Kulturprogramm soll das Image der Expo 2000 aufpolieren
V on Kläre Warnecke
Hannover – Der Ruf ist schon ganz schön ruiniert. Was es an Negativschlagzeilen einzufahren gab, hat die Expo 2000 eingefahren. Millionenlöcher, voraussehbarer Besucher-Flop, chaotische Planung, Streit über die genaue Zielsetzung der Weltausstellung.Tom Stromberg, verantwortlich für das Kultur- und Ereignisprogramm der Expo 2000 in Hannover und designierter Intendant des Deutschen Schauspielhauses Hamburg, verhehlt nicht, daß die schlechte Medienresonanz ein Handicap auch für seine Arbeit ist. Um so vehementer gilt es das Steuer jetzt herumzureißen: Weg vom endlosen Gerede über das Management der Expo 2000, über Geld und Personen, hin zum Wichtigsten, dem Programm. „Im Ausland geht man doch ganz selbstverständlich davon aus, daß die Deutschen Parkplätze, Klos und Bahnhöfe bauen können. Dort fragt man: Wann spielt der Faust? Welche Rockband kommt? Was gibt’s für Konzerte?“ Entscheidend, so Stromberg, sei deshalb nicht die Frage nach der Wirtschaftlichkeit der Expo, sondern ob Deutschland in der Lage sei, eine große Veranstaltung auf die Beine zu stellen, die einen Image-Gewinn für das Land bringe. „Es geht hier um Kultur, um eine große Ausstellung, also um Dinge, die auch sonst subventioniert werden. Warum soll das plötzlich auf einer Weltausstellung kostendeckend sein?“Beunruhigt über die lamentable Finanzsituation der Expo 2000, hatte man sich in der Öffentlichkeit schon gefragt, ob für das weitgefächerte Kulturprogramm, das Expo-Chefin Birgit Breuel immerhin als „Herzstück“ des Ganzen bezeichnete, überhaupt noch Mittel vorhanden seien. Ist der Kulturetat wirklich gesichert?
Zur Zeit scheint es so. Wenn Stromberg auch aus dem Haus selbst immer wieder Attacken abfangen muß, die ihm suggerieren: „Wir müssen sparen, nehmen wir’s doch aus der Kultur!“ Aber, so argumentiert der resolute Enddreißiger zu Recht, wenn der Ruf der Expo zur Zeit schon so schlecht ist und man nun auch noch das Kulturprogramm beschneidet, weshalb sollen die Leute dann überhaupt nach Hannover kommen? Die Frage ist freilich nicht nur eine der Quantität, sondern der Qualität, die sich über das sattsam bekannte Festival-Gestöber hinausheben müßte. Peter Steins neunstündiger „Faust“ kann es allein kaum sein. Obwohl der Run auf die Karten bereits enorm ist. „Wenn wir wollten, wäre der Faust heute ausverkauft“, so Stromberg. Eine ausgeklügelte Aufführungsstrategie dürfte ein übriges tun, das 28-Millionen-Projekt – dessen Finanzierung man sich mit Wien und Berlin teilt – unter die Leute zu bringen. Höhepunkt ist ein Faust-Marathon von Samstag zehn Uhr bis Sonntag früh: Pausen wie in Bayreuth, das Publikum stets Teil einer „faustischen“ Prozession durch die Hallen, Probenbeginn am 28. August 1999, Goethes Geburtstag.“Könnte er bereits ähnlich feste Abmachungen wie den Steinschen „Faust“ auch den Rock- und Pop-Fans annoncieren, stünde er glänzend da. Denn natürlich wüßten schon alle heute gern, wer von den Weltstars im Jahr 2000 in die 15 000 Plätze fassende Expo-Arena einzieht. Doch setzen ihm die Gepflogenheiten der Branche da derzeit Grenzen. Im Rock- und Pop-Geschäft fallen die Ent- scheidungen für die Tourneen des Jahres 2000 frühestens im Sommer. „Wir wollen nicht einfach in eine Tournee einsteigen“, so Stromberg, „wir wollen den Startschuß geben. Ein Künstler, der nach Deutschland kommt, soll vielleicht fünf oder sechs Vorstellungen en suite auf der Expo spielen, bevor er in andere Länder geht.“ Die späten Fristen haben freilich auch ihr Gutes: So kann man neben dem Etablierten auch neueste Entwicklungen ins Programm einbeziehen. Man ist jedenfalls nicht auf Gedeih und Verderb an Verabredungen mit Stars und Bands gebunden, die im Jahr 2000 vielleicht längst passé sind. Das Konzert der „Scorpions“ mit den Berliner Philharmonikern ist allerdings bereits fest terminiert: Ihr einziger gemeinsamer Auftritt soll am 27. Juni in der Expo-Arena stattfinden, nachdem vier Titel des Konzerts bereits auf CD eingespielt sind. Vor dieser heißen Crossover-Session treffen sich die Berliner bereits mit japanischen Taiko-Trommlern, einer Formation des Waseda Symphony Orchestra unter Seiji Ozawa. „Welten treffen aufeinander“ – „Where Worlds meet“ – heißt denn auch das Motto des Expo-Kultur- und Ereignisprogramms, unter dem sich alles und jedes subsumieren läßt.
Damit die Vielfalt des Angebots nicht als diffuser Mix erscheint, hat Stromberg zeitliche und thematische Pflöcke eingeschlagen, die das 153-Tage-Programm strukturieren. Auf das Eröffnungswochenende Anfang Juni, bei dem eine Gilgamesch-Oper des deutschen Komponisten Volker David Kirchner und eine französische Pferde-Oper namens „Sacre du Printemps“ uraufgeführt wird, folgen das sechswöchige Theater-Festival „Theaterformen“ mit Auftragswerken, dann das Steinsche „Faust“-Projekt mit 48 Vorstellungen, schließlich das internationale Tanztheater-Festival samt Auftritten von Ea Sola und Pina Bausch. Von Gastspielen Peter Brooks, Peter Zadeks („Hamlet“) und Jan Fabres zu schweigen.Als Continuum dazu treten klassische und zeitgenössische Musik, Jazz, Dancefloor, Performances, Animation, Kleinkunst, Disco, Entertainment, Pop und Rock mit zwei großen Arena-Konzerten pro Woche. Und jeden Tag wird nach Sonnenuntergang über dem Expo-See die große Feuer- und Lichtshow „Flambée“ des Franzosen Hubert inszeniert.Dem künftigen Intendanten des Hamburger Schauspielhauses liegt allerdings mehr am Herzen, was er gemeinsam mit Martin Roth, seinem Kollegen vom Expo-Themenpark, in dem vom französischen Architekten Jean Nouvel entworfenen Raum plant.Hier wird es wie in einem Setzkasten auf vier Etagen 80 verschiedene Bühnen geben. „Wir rechnen damit“, so Stromberg, „daß dort jeden Tag rund 250 bis 300 Schauspieler und Tänzer auftreten. Da beginnt es interessant zu werden.“ Denn der Charme des Raumes sei, daß auf den 80 Bühnen jeweils 80 verschiedene Dinge passieren, die aber in einem Moment zusammenfließen können. Ein fantastischer Theater- Coup. Fausts Verklärung ist nichts dagegen.