„Im Theater schlafe ich sofort ein“ Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12.Juni 2005
INTERVIEW : Johanna Adorján
Sie waren fünf Jahre Intendant des größten deutschen Schauspielhauses – erst gehaßt, dann rausgeekelt, und jetzt, kurz vor Auslaufen Ihres Vertrags, auf einmal doch geliebt. Sind Sie traurig, wegzugehen – wo es endlich nett ist?
Das sagen alle – daß das ja sehr traurig sei, gerade jetzt. Ich bin da nicht so sentimental. Wenn ich ehrlich bin: Der Gedanke, daß man jetzt hier sitzt und müßte mit seinem Chefdramaturgen wieder sagen, ist nicht „Tasso“ doch das politischere Stück als „Don Karlos“ für die nächste Saison . . . das ist auf die Dauer auch langweilig.
Es ist ja nun nicht so, daß Sie ganz freiwillig gehen. Sie hätten Ihren Vertrag gerne verlängert. Das haben Sie öffentlich gesagt.
Das war in einer Phase, in der in Hamburg diese unsägliche Kulturpolitik gemacht wurde. Da haben wir beschlossen, daß wir in die Offensive gehen und sagen: Dann müßt ihr uns richtig rausschmeißen, wir bieten an, weiterzumachen. Ich will nicht sagen, ich hätte nicht weitergemacht, aber ich finde es jetzt auch nicht die Riesenkatastrophe – oh Gott, wir hören auf, ich falle in ein tiefes Loch.
Beneiden Sie Ihren Nachfolger Friedrich Schirmer, daß der jetzt an dieses Haus darf?
Nein. Der wird hier die Hölle erleben – so wie jeder. An dem Punkt, als er gewählt wurde, dachte er natürlich, er übernimmt ein sturmreif geschossenes Haus. Jetzt sieht es anders aus, und das kann ich aus Erfahrung sagen: ein erfolgreiches Haus zu übernehmen ist hart.
Woran hat es Ihrer Meinung nach gelegen, daß der Anfang so schwierig war und jetzt am Ende Ihrer Intendanz ein solcher Freudentaumel um dieses Haus stattfindet? Die besten Kritiken für „Faust“; „Othello“ eröffnete das Theatertreffen . . .
Man hat natürlich seine Entscheidungen getroffen, zum Beispiel den Chefdramaturgen Michael Eberth zu holen, der alles am Theater erlebt hat – Langhoff, Breth, Peymann. Hat er alles hinter sich. Der hat mir an einem Punkt unheimlich geholfen: Er hat mir mein Vertrauen zu meiner Intuition zurückgegeben. Ich bin kein Intellektueller, sondern immer ein Macher gewesen. Ich wußte, was ich wollte, und das wurde dann gemacht. Und hier hatte ich auf einmal so viele Teamsitzungen und Leute, die mir Ratschläge gaben. Ich hatte fünf Dramaturgen und tausend Leute im Betriebsbüro, und jeder kam zum Chef wegen allem und hatte noch einen Rat und eine Meinung und wußte es besser . . . Das hat sich dann total geändert.
Der Geschäftsführer ist daraufhin gegangen.
Das war ein sehr schwieriges Verhältnis zwischen uns. Schlimm war nicht, daß er gegangen ist, aber er war sehr illoyal. Er hat schlecht über das Haus geredet. Und dann sind noch mehr Leute gegangen in den nächsten zwei Jahren, einfach weil sie nichts mehr zu sagen hatten. Weil ich alles mit dem Chefdramaturgen alleine entschied.
Nach Ihrer Erfahrung in Hamburg: Wie kann ein Intendant Bedingungen dafür schaffen, daß gutes Theater gelingt?
Es ist ein Lustprinzip. Es hat nur mit Erotik zu tun. Dieses Haus ist in den letzten zwei Jahren unglaublich lustvoll geworden, in jeder Beziehung. Das hat was mit Lebensfreude zu tun, mit Saufen, mit Ausgehen, mit Spaßhaben auf den Proben und zu sagen, ich hab‘ Lust, morgen früh noch zwei Stunden länger zu proben. So einen Humus zu schaffen, das ist das einzige.
Sie ziehen jetzt aufs Land, in ein großes altes Gutshaus zwischen Hamburg und Berlin, nach Streckenthin. Dort wird der Sitz der Produktionsgesellschaft sein, die Sie mit Peter Zadek gegründet haben. Ist diese Idee vielleicht auch aus der Not geboren, daß Sie keine andere Intendanz angeboten bekommen haben?
Am Anfang habe ich wirklich kein Angebot gekriegt. Als man merkte, daß das Schauspielhaus funktioniert, gab es ein paar. Aber ich habe alles abgesagt, zum großen Ärger meiner Eltern, die mich schon in Arbeitslosigkeit verzweifeln sahen – und als dann noch das Gutshaus in Streckenthin dazukam, war das Entsetzen groß. Aber inzwischen ist die familiäre Harmonie längst wiederhergestellt. Ich hatte ohnehin vor, mindestens ein Sabbatjahr zu machen. Und dann kam Zadek letztes Jahr. Und wenn Sie eine Pointe aushalten: ich dachte, das Sabbatjahr mit einem Juden zu verbringen ist vielleicht gar nicht schlecht.
Was genau ist Ihre Rolle in der Zusammenarbeit mit Zadek?
Wir sind weder eine Landkommune, noch koche ich abends für Zadek.
Also?
Wir haben eine Firma gegründet, „my way production“, zusammen mit der Verlegerin Antje Landshoff-Ellermann. Wir machen gemeinsam drei große Shakespeare-Produktionen und haben eine Akademie gegründet, an der wir junge Leute weiter ausbilden wollen, die schon einen Theaterberuf studiert haben. Ich bin dann Intendant des kleinsten Theaters der Welt, bestehend aus drei Leuten – Peter Zadek, einer Produktionsleiterin und mir. Wenn wir produzieren, sind es rund vierzig Leute. Nennen Sie mich Geschäftsführer. Ich werde diese Akademie leiten.
Sie wollen auch einen Ort schaffen, an dem verschiedene Generationen von Regisseuren sich austauschen können.
Ja.
Angeblich kamen Sie auf die Idee, als Zadek Ihnen erzählte, daß er Stefan Puchers „Othello“ nicht mochte.
Das war ein bemerkenswerter Abend. Zadek saß in der Loge, in der er immer sitzt, mit einem Glas Rotwein und seiner Frau, Elisabeth Plessen, und Zadek guckte sich das sehr genau an, und danach hat er zwei Stunden mit mir über diesen „Othello“ gesprochen und fand vieles positiv und anderes negativ. Und ich dachte nur, wieso ist Stefan nicht hier, der hätte so einen Spaß an diesem Gespräch. Es gibt diese Gespräche nicht. Es gibt kein Gespräch zwischen Jan Bosse und Luc Bondy. Es gibt keine Verbindung zwischen Grüber und Thalheimer. Das ist wie ein Schnitt, eine komplett verlassene Fläche. Vielleicht ist das ein Zeichen von Altwerden, aber ich dachte, mit 45 stehe ich genau zwischen diesen Generationen und hab‘ da eine Aufgabe der Vermittlung.
Ich kann mir vorstellen, daß gerade Regisseure sich extra abgrenzen wollen von der Generation vor ihnen.
Aber Pucher oder Bosse überhaupt nicht. Im Gegenteil. Tabori hat neulich beim Berliner Theatertreffen öffentlich gesagt, daß ihm „Othello“ gut gefallen habe. Darauf ist Pucher total stolz.
Und wie wird dann so ein Austausch stattfinden?
Ich denke, daß einfach gearbeitet wird. Daß ein Regisseur wie Bosse mal was macht mit den Studenten, daß Zadek dazukommt, dann wird man sich austauschen. Andererseits, Peter hat gerade der österreichischen Zeitung „News“ ein herrliches Interview gegeben, in dem er alle beschimpft hat, Baumbauer, Falk Richter, Andrea Breth, alle. Wenn er so weitermacht, dann gibt es eher keinen Austausch.
Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Zadek beschreiben?
Beidseitiger Respekt. Wir sind immer noch dabei, rauszukriegen, was wir eigentlich meinen und wollen. Er hat mich neulich ertappt, als ich über einen Schauspieler gesagt habe, der sei aber total dilettantisch. Da meinte er, das sei doch das größte Kompliment, du hast meine Arbeit immer noch nicht verstanden. Daran arbeiten wir noch. Aber sonst . . . Wir amüsieren uns zusammen. Wir haben einen ähnlichen Humor. Und wir sind mindestens gleich ungeduldig.
Werden Sie auch Intendanten ausbilden?
Das geht nicht. Intendanten sind unausbildbar.
Ihr Vater war auch Intendant.
Fast dreißig Jahre.
Was haben Sie von ihm gelernt?
Das schönste für mich war, als Kind am Schreibtisch meines Vaters rumzuwühlen. Ich habe als Achtjähriger Briefe vom deutschen Bühnenverein, von der Intendantengruppe, Tarifverhandlungsblätter gelesen, Verträge, Besetzungslisten, das fand ich herrlich. Vielleicht lernt man da was. Früh geprägt. Mag sein. Ich hab‘ natürlich ganz viel Theater gesehen – ästhetisch war es nicht das Theater, das ich machen würde, aber natürlich lernt man da was. Vielleicht lernt man auch, Schauspieler zu lieben. Diese egozentrischen, vollidiotischen, wahnsinnigen Wesen. Ich mochte immer Schauspieler. Ich war mein Leben lang in Schauspielerinnen verliebt. Das hört jetzt aber auf.
Gehen Sie eigentlich gerne ins Theater?
Ich gehe fast nicht mehr ins Theater. Ich glaube nicht, daß viel Theatergucken für Profis ein Erkenntnisgewinn ist, ich habe irgendwie keine Lust mehr. Vielleicht bin ich Theaternarkoleptiker. Sobald das Licht ausgeht, schlafe ich ein. Vielleicht sollte ich mich berufsunfähig schreiben lassen bei der Genossenschaft.
Wenn Sie schon nicht mehr gerne gehen – warum sollen überhaupt Leute ins Theater gehen?
Das ist so wie bei jeder Kunst: Weil es diese glücklichen Momente gibt, wenn man durch irgendein Detail, einen Satz, eine Situation, eine Musik so berührt wird, daß sich das Leben danach verändert durch diesen Moment. Daß man gewisse Dinge dann durch andere Augen sieht und für immer mit diesem Theaterabend in Verbindung bringt.
Muß gutes Theater politisch sein?
Ich glaube jedenfalls nicht, daß man Theater eins zu eins verstehen darf – mit „Biedermann und die Brandstifter“ kriegt man den Innensenator nicht aus der Stadt. Daß bei jedem Klassiker ins Programmheft geschrieben wird, daß gerade dieses Stück uns heute so unglaublich viel zu sagen hat, das nervt mich schon sehr.
Wie entscheidet man sich dann dafür, lieber den „Tasso“ zu machen als „Don Karlos“?
Das beste ist, man hat den richtigen Regisseur und die richtigen Schauspieler, die Lust haben auf ein Stück. Und da die dann auch klug genug sind, sich im Leben politisch zu verhalten, werden sie das auch in ihrer Arbeit tun.
1999 haben Sie im F.A.Z.-Fragebogen die Frage, wer oder was Sie hätten sein mögen, mit „Popstar“ beantwortet.
Das stimmt bis heute. Es war immer mein Traum, vor einer Band zu stehen, im Rücken zehn Bläser, Gitarren, Schlagzeug. Ich hab‘ fünfmal den Versuch gemacht, Gitarre zu lernen, aber ich bin leider so wahnsinnig unmusikalisch.
Ist Intendant ein befriedigender Beruf, wenn man eigentlich am liebsten Popstar wäre?
Intendant ist das einzige, was ich kann bis jetzt. Aber ich glaube, wenn man organisieren kann und verkaufen, kann man auch andere Sachen verkaufen. Ich könnte wahrscheinlich auch eine Lederwarenfabrik leiten, fürchte ich.
Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 12. Juni 2005