„Eine schreckliche Mode. Konzepttheater finde ich unerträglich. Das ist ein deutsches Unwesen“: Peter Zadek über junge Regisseure, alte Erfahrungen und seine Shakespeare-Pläne mit Tom Stromberg“. Süddeutsche Zeitung, 26.August 2005

Veröffentlicht von Thomas am

VON CHRISTINE DÖSSEL

Vor seinem Wiener ¸¸Totentanz“ wollte Peter Zadek kein Interview geben, ¸¸aber kommen Sie doch im Sommer nach Lucca“, hatte er gesagt. Da sind wir nun also, in Zadeks herrlichem Landhaus in der nördlichen Toskana. Hier erholte sich der Regisseur von ¸¸diesem Strindberg“, der ihn ¸¸fertig gemacht“ hat. Inzwischen ist er schon wieder nach Hamburg aufgebrochen. Dort will sich Zadek in nächster Zukunft häuslich niederlassen, um am St. Pauli-Theater das Sozialstück ¸¸Bitterer Honig“ von Shelagh Delaney zu inszenieren (Premiere: Februar 2006) und sodann sein neues Großprojekt anzugehen: die ¸¸my way production“, eine freie Produktionsgesellschaft im Verbund mit Tom Stromberg, unter deren Segel Zadek drei große ShakespeareInszenierungen in Angriff nimmt.

Den Anfang macht die Komödie ¸¸Was ihr wollt“, die im September 2006 im Rahmen der Ruhrtriennale am Schauspielhaus Bochum Premiere haben wird. Weitere Koproduzenten sind die Berliner Festspiele, die Wiener Festwochen und das Dresdner Staatsschauspiel. Zum Ensemble gehören Zadek-Lieblinge wie Susanne Lothar, Angela Winkler und Eva Mattes, auch Otto Sander ist (als Malvolio) dabei. 2007 und 2008 will Zadek dann den ¸¸Sommernachtstraum“ und ein weiteres Shakespeare-Werk inszenieren. Der Regisseur empfängt seinen Besuch in bester Urlaubslaune. Elisabeth Plessen bereitet derweil Antipasti vor.


SZ: Schön haben Sie“s hier. Das Haus scheint uralt zu sein.

Zadek: Der Teil unten, am Pool, stammt noch aus dem Mittelalter. Ich habe das Haus schon in den sechziger Jahren kennen gelernt und wusste sofort: Das ist mein Ort! Eine Zeit lang konnte man es für den Sommer mieten, vor ungefähr zehn Jahren hab ich“s dann gekauft.


SZ: Wo leben Sie normalerweise?

Zadek: Sehen Sie die Koffer da drüben? Aus denen lebe ich sozusagen. Ich mache in der Regel zwei Inszenierungen im Jahr, meistens an zwei verschiedenen Orten, an denen ich dann eben eine Wohnung miete. Vier Monate Wien, vier Monate Berlin – bleiben vier Monate, um hierher zu kommen. Das ist der einzig feste Wohnsitz. Aber wir suchen jetzt was in Hamburg.


SZ: Werden Sie sich denn nicht in dem Gutshaus in Streckenthin/Pritzwalk niederlassen, das Tom Stromberg für Ihre gemeinsame Firma ¸¸my way production“ eingerichtet hat? Es soll dort schon ein ¸¸Zadek-Zimmer“ geben.

Zadek: Wenn im nächsten Sommer die Proben zu ¸¸Was ihr wollt“ beginnen, wird das ganze Team dort hausen, zwischen Seen und Wäldern, in the middle of nowhere. Mal sehen, ob das funktioniert.


SZ: Das hätte man nicht gedacht, dass Sie sich für eine eigene Company ausgerechnet mit Tom Stromberg zusammentun würden. Der steht doch genau für das Theater, über das Sie immer herziehen.

Zadek: Ach, wissen Sie, ich mag den schon sehr lange. Weil er so unprätentiös und frech und lustig ist. Und sehr professionell, wirklich, he knows what he is doing. Ich fühl“ mich wohl mit dem.


SZ: Aber Sie haben während seiner ganzen Intendanz am Hamburger Schauspielhaus nie bei ihm inszeniert.

Zadek: Das hat deshalb nicht geklappt, weil er darauf bestand, dass ich mit seinem Ensemble arbeite. Und das wollte ich nicht, weil ich seine Schauspieler nicht mochte, mal abgesehen davon, dass ich immer meine eigenen Schauspieler habe. Aber Tom hat meinen Wiener ¸¸Hamlet“ an sein Haus geholt, das fand ich toll. Als er gekündigt wurde, hab“ ich ihn angerufen und gesagt: Jetzt können wir doch was miteinander machen.


SZ: Dann ist das Projekt Ihre Idee?

Zadek: Der Vorschlag kam von mir. Das Komische war, dass Tom sich gerade mit Freunden für „nen Appel und „n Ei dieses riesige Haus im Brandenburgischen gekauft hatte. Das war absoluter Zufall. Wunderbar, wie sich das jetzt fügt.


SZ: Wie sieht die Arbeitsteilung zwischen Ihnen aus?

Zadek: Er ist Geschäftsführer und zuständig für alles Organisatorische. Und ich inszeniere. Und dann ist noch eine alte Wegbegleiterin von mir, die Verlegerin Antje Landshoff-Ellermann, dabei. Ist irgendwie ein gutes Trio. Daneben soll es auch eine kleine Akademie für junge Leute geben. Um die, denk“ ich, wird sich Tom mehr kümmern.


SZ: Muss man dieses Unternehmen als eine Absage an das deutsche Stadt- und Staatstheater verstehen?

Zadek: Überhaupt nicht, mit dem arbeiten wir ja nach wie vor zusammen. Aber ich wollte jetzt einfach mal eine freiere Situation. Für mich funktioniert das nicht mehr lange im deutschen subventionierten Theater, denn die können oder wollen sich das gar nicht mehr leisten. Ich bekam immer größere Schwierigkeiten mit meinen Gästen.


SZ: Sie sind teuer und legen mit Ihren langen Probenzeiten meistens auch noch den Betrieb lahm. Das kann sich im Grunde nur noch das Burgtheater erlauben.

Zadek: Und am Burgtheater habe ich auch lange genug mit Gert Voss gearbeitet. Ich will jetzt mal was anderes. Eine eigene Gruppe zu gründen, war schon immer mein Traum: mit einem Ensemble durchs Land zu ziehen wie zu Shakespeares Zeiten. Ich habe das schon öfters versucht, das erste Mal mit 19 in England. Da gründete ich mit ein paar Leuten das ¸¸New Group Theatre“, aber irgendwie ist daraus nichts geworden, auch später nicht, in Bochum oder Hamburg. Es scheiterte meistens an so Fragen wie: Wer zahlt jetzt die Versicherung? Und die Schauspieler waren alle zu verwöhnt, um Risiken einzugehen.


SZ: Glauben Sie, das könnte ein Modell für die Zukunft sein?

Zadek: Absolut. Das subventionierte Theater, so wie es in Deutschland existiert, ist ja nicht nur in der Krise, sondern in großer Gefahr. Die Strukturen sind total veraltet. Es wäre viel besser und billiger, wenn die Theater mindestens die Hälfte ihrer Sachen en suite spielen würden. Ich predige das schon seit Jahren.


SZ: So leicht ist das nicht hinzukriegen. Außerdem besteht die Gefahr, dass das Ensembletheater Schaden nimmt.

Zadek: Aber das Ensembletheater gibt es doch gar nicht mehr! Wo, außer vielleicht in einer Stadt wie München, gibt“s denn noch Ensembles? Und selbst dort machen die Schauspieler ständig Fernsehen und tausend andere Sachen. Was die alles im Kopf und in ihren Terminkalendern haben! Ich plädiere ja auch dafür, dass sich bestimmte Häuser, wie zum Beispiel das Wiener Burgtheater, das Hamburger Schauspielhaus und das Münchner Residenztheater, zusammentun und sich jedes Jahr ein oder zwei Stücke teilen. Stücke, die dann reihum an diesen Theatern gezeigt werden. Aber ich stoße da nur auf taube Ohren. Also mach ich“s lieber selber.

SZ: Was sagen Sie zu dem Vorwurf, hier seien zwei Giganten der gekränkten Eitelkeit am Werk, die im Stadttheatersystem nicht mehr richtig unterkommen?


Zadek: Auf mich kann sich das ja wohl nicht beziehen, weil ich permanent und erfolgreich an einem Theater nach dem anderen inszeniere.


SZ: Aber nur zu Luxusbedingungen.

Zadek: Entschuldigung, aber in meinem Alter und nachdem, was ich alles so geleistet habe, finde ich das auch in Ordnung. Es ist immer eine Frage, wo man spart und was man sich leisten will.


SZ: Verbindet es Sie mit Stromberg, dass Sie beide als Intendanten am Hamburger Schauspielhaus gescheitert sind?

Zadek: Ich höre immer, ich sei gescheitert. Das stimmt doch gar nicht. Ich habe in Hamburg ein paar schöne Sachen gemacht, ¸¸Lulu“ zum Beispiel. Dann hatte ich aber überhaupt keine Lust mehr. Außerdem bin ich krank geworden, richtig krank. Die Politiker waren daran schuld. Wenn ich mit meiner Phantasie immer nur gegen eine Wand knalle, breche ich zusammen. Ich war körperlich und psychisch total am Ende. Hab“ dann Drogen genommen und lauter albernes Zeug gemacht, und Elisabeth hat mich hier in Lucca gesund gepflegt. Als Theaterintendant in Hamburg muss man ein Politiker sein – das bin ich nicht. Und was Tom angeht: Das Haus war bei ihm knackevoll. Der geht mit einem solchen Erfolg, da können sich die Hamburger nur in den Pimmel beißen, „tschuldigung.


SZ: Na ja, kam ein bisschen spät, dieser Erfolg.

Zadek: Ja, Pech. Das ändert aber nichts daran, dass ich seine Arbeit respektiere. Er kann gut organisieren, und zwar auf eine Weise, wie ich“s mag: frech, lebendig und kreativ. Bei Theaterverwaltern wie Frank Baumbauer fühle ich mich dagegen immer gleich wie im Finanzamt. Ich habe auch Lust, mich mal ein bisschen mit dieser Art von Regisseuren einzulassen, mit denen der Stromberg arbeitet. Ich würde mich zum Beispiel wahnsinnig gerne mit Herrn Pucher unterhalten über seine Inszenierung von ¸¸Othello“, die ich überhaupt nicht mochte, oder mit diesem anderen Knaben, der in Hamburg den ¸¸Faust“ gemacht hat . . .


SZ: Jan Bosse. Auch einer aus der Riege der Jungregisseure, gegen die Sie so gerne wettern.

Zadek: Ich glaube gar nicht, dass die alle dumm und unbegabt sind, die unterliegen nur so einer schrecklichen Mode. Das sind eitle Regisseure, die vorführen, was sie können oder auch nicht können, ohne sich für Sprache, Situationen oder überhaupt für das Stück zu interessieren.


SZ: Was ist denn konkret Ihre Kritik am Theater der jüngeren Generation?

Zadek: Dass es so eins zu eins und plump und stilisiert ist. Allein schon das, was man Konzepttheater nennt, finde ich unerträglich. Das ist ein deutsches Unwesen – interessiert auch niemanden außerhalb von Deutschland. Ist doch furchtbar, wenn Theater nur auf Abstraktionen basiert. Da gibt es einen Einfall, ein Konzept, und dann muss sich alles danach richten. Ich sehe nur noch irgendwie ¸¸ausgefallene“ Sachen, aber keine Geschichtenerzähler mehr. Das, was eigentlich der Sinn von Theater ist, nämlich über den Menschen etwas zu erzählen, das finde ich nicht mehr. Ich habe nie das Gefühl, dass sich da mal jemand hingesetzt und sich gefragt hat: Was ist eigentlich los in dem Stück? Worum geht“s?


SZ: Ausgefallene Sachen haben Sie früher selber gemacht. Im Grunde haben Sie das moderne Regietheater in Deutschland doch überhaupt erst erfunden. Was Sie in den sechziger Jahren bei Kurt Hübner in Ulm und Bremen zeigten, war revolutionär. Da ging doch die Post ab.

Zadek: Ich schimpfe ja auch nicht über das Regietheater, ich schimpfe über das stilisierte Theater. Das Theater, das wir damals machten, war zwar ausgefallen, aber ganz realistisch. Es gab eine Aufführung in Bremen, die ich bis heute nicht mag, obwohl sie sehr berühmt wurde, die war stilisiert: ¸¸Die Räuber“ in so einem poppigen Bühnenbild nach Roy Lichtenstein. Aber ansonsten haben wir unheimlich genaue, realistische, manchmal geradezu pingelige Sachen gemacht. Ich schicke Ihnen mal eine Kassette von ¸¸Maß für Maß“ und ¸¸Frühlings Erwachen“.


SZ: Auch mit diesen Inszenierungen haben Sie die Leute vor den Kopf gestoßen. Sie haben die Stücke aktualisiert, so wie es heutige Regisseure auch tun.

Zadek: ¸¸Frühlings Erwachen“ war insofern aktualisiert, als die Figuren auf eine erkennbar heutige Weise gesprochen haben. Aber das war mit einer großen Vorsicht und Genauigkeit so gemacht. Mich hat dieser Wedekind interessiert. Mich hat nicht interessiert: Warum bumsen die so früh? Ich habe damals, vor allem bei der Arbeit an ¸¸Maß für Maß“, das Wichtigste für mich überhaupt begriffen: Dass die Schauspieler eine Art von Realität mitbringen, die erkennbar bleiben muss. Seither arbeite ich mit den Schauspielern so, dass ich sie erst mal machen lasse und nicht vorher schon alles diskutiere. Das war ein wichtiger Einschnitt. Wir waren mit ¸¸Maß für Maß“ schon halb fertig, da habe ich alles wieder verworfen und von vorn angefangen.


SZ: Indem Sie den Schauspielern völlig freie Hand ließen?

Zadek: Indem ich ihnen aufmerksam zusehe und nicht von vornherein alles zerrede. Das Wichtige ist, die Phantasie des Schauspielers nicht zu zerstören, sondern sie freizusetzen und zu beleben. Es gibt in ¸¸Maß für Maß“ eine Szene, wo der Angelo, Bruno Ganz, auf einem Stuhl steht und Edith Clever als Isabella ihn um Gnade für ihren Bruder anfleht. Da stand die also vor ihm in ihren Jeans – die trugen alle Schrottkostüme – und hüpfte immer mit einem ausgestreckten Finger vor seiner Nase herum. Während der ganzen Szene hat sie das so gemacht. Und nachher fragte sie: Sag“ mal, ist das nicht blöd, wenn ich so herumspringe? Nein, sag“ ich, finde ich toll, lass es! Und so entstehen oft die schönsten Sachen. Oder nehmen wir Angela Winkler. Da bin ich so überwältigt von dem, was die macht, dass ich erst mal die Klappe halte.


SZ: Ist bei Ihnen die Besetzung schon das Programm?

Zadek: Die Besetzung ist die halbe Inszenierung. Wenn ich einen Schauspieler besetze, muss ich Vertrauen haben in seine Phantasie, sonst habe ich einen Fehler gemacht. Was mich treibt, ist eine Neugierde, ein Interesse an den Menschen und daran, wie sie sich benehmen. Ich hatte mal einen sehr guten Arzt in Köln, und als ich mal wieder dachte, ich sei todkrank – ich bin nämlich ein Hypochonder -, da sagte er: So neugierig wie du bist, kann dir überhaupt nichts passieren. Und ich glaube, er hat Recht. Mit dieser Neugierde begegne ich auch den Schauspielern. Und da ist Angela die Super-Antwort auf meine Frage, denn ich komme nie dahinter.


SZ: Nach all den Jahren?

Zadek: Mit der kann ich ein Leben lang arbeiten, und ich werde sie nie durchschauen. Sie ist immer neu. Das macht ihr großes Geheimnis aus.


SZ: Sind Sie nicht auch privat mit ihr befreundet?

Zadek: Ich habe nie sehr enge Freundschaften mit Schauspielern. Ich mag die eigentlich nur auf der Bühne sehen. Privat langweilen mich Schauspieler ein bisschen, muss ich gestehen. Ich war ein paar Mal mit Schauspielerinnen verehelicht, sozusagen, und das Problem war immer: Die wollten nur über Schauspielerei reden. Über Schauspielerei ist aber gar nicht viel zu reden, das macht man.


SZ: Und mit Ulrich Wildgruber?

Zadek: Dem Wildgruber habe ich ein Mal in 30 Jahren eine Tasse Kaffee gekocht. Nein, ich bin da komisch. Ich brauche nicht so viele Leute um mich herum.


SZ: Auf Fotos von früher sehen Sie eher wie ein Lebemann aus.

Zadek: Ich bin im Grunde ein scheuer Mensch. Mich hat mein ganzes Leben lang eigentlich nichts außer Theater interessiert. Deshalb waren die Jahre in Bremen so eine tolle Zeit. Damals haben wir 24 Stunden am Tag über Theater geredet oder Theater gemacht. Das war auch der Grund, warum ich nach der Wende in das Direktorium am BE ging, mit Heiner Müller, Peter Palitzsch und diesen Leuten. Es war spannend, ein Gegenüber zu haben. Diese Form der Auseinandersetzung vermisse ich heute. Glauben Sie, ich hätte auch nur ein einziges Mal eine intelligente Unterhaltung mit Frau Breth führen können? Nicht zu machen.


SZ: Sie äußern sich ja auch nicht gerade schmeichelhaft über Ihre Kollegen. Auch in Wien haben Sie Andrea Breth und viele andere wieder beschimpft.

Zadek: Quatsch, ich beschimpfe niemanden. Man hat mich nur gefragt, wen ich gerne als Nachfolger von Klaus Bachler am Burgtheater hätte. Und da habe ich gesagt: Claus Peymann. Weil er für mich der Einzige ist, der weiß, was ein Intendant zu tun hat. Aber es wird vielleicht auf die Breth hinauslaufen, wenn sie so dumm ist, es zu machen. Wenn sie es macht, ist sie nach drei Monaten in der Klapsmühle. Die kann das gar nicht durchhalten, weil sie so bescheuert ist.


SZ: Fühlen Sie sich eigentlich eher als Engländer oder als Deutscher?

Zadek: Weder noch. Ich bin überall Außenseiter. Als ich noch in England war, habe ich furchtbar viel Antisemitismus erlebt, so einen subtilen Antisemitismus. Entweder du gehörst dazu oder du gehörst nicht dazu, so funktioniert die englische Gesellschaft. Und ich gehörte nicht dazu. Außerdem ist das kommerzielle Theater in England nicht mein Ding. In Deutschland bin ich dagegen auf lauter Leute gestoßen, die gerne Theater machten und das aufregend fanden. Das hat mich unheimlich angemacht.


SZ: Was ist das Deutsche an Ihnen?

Zadek: Meine deutscheste Seite ist meine Unerbittlichkeit. Wenn ich etwas wirklich will, dann kämpfe ich bis zum letzten Pups dafür, und wenn alle Leute tot umfallen. Das kann penetrant sein.


SZ: Und das Englische?

Zadek: Das Englische an mir ist das Verspielte. Ich mag Gesellschaftsspiele und solche Sachen. Und ich liebe sehr die englische Sprache. Ich muss sagen: Das Englische ist bei mir hauptsächlich mit Shakespeare verbunden. Das ist irgendwie mein Autor geworden. Alles, was ich mache, fühle und erlebe, kann ich immer wieder auf ihn beziehen. Da ist alles drin.


SZ: Das deutsche Theater scheint damals geradezu auf Sie gewartet zu haben. Sie hatten sofort Erfolg, wurden schnell berühmt. Wenn man Ihre Biografie liest, meint man, Ihnen sei alles zugeflogen.

Zadek: Das Gute war, dass ich mich instinktiv mit den richtigen Leuten verheiratet habe, einmal mit Kurt Hübner, das zweite Mal mit Ivan Nagel, Intendanten, die mich stützten und schützten. Und ich hatte das große Glück, für meine Art von Arbeit immer einen zentralen Schauspieler oder eine Schauspielerin gefunden zu haben. Jemanden, von dem ein ganzes Ensemble lebt. Am Anfang war das Edith Clever, dann Norbert Kappen, dann der Wildgruber, dazwischen auch mal Eva Mattes. Und jetzt ist es Angela Winkler.


SZ: Gert Voss rechnen Sie nicht dazu?

Zadek: Gert ist kein Schauspieler, der andere mitzieht und ein Ensemble belebt. Der belebt nur sich selbst, das Ensemble stört ihn eher. Der braucht die anderen hauptsächlich als Stichwortgeber.


SZ: Ist er so egomanisch?

Zadek: Der ist komplett egomanisch. Der lebt ja auch so: ganz zurückgezogen mit seiner Frau in einem Turm. Er arbeitet wie ein Wahnsinniger an seinen Rollen, monatelang wird da jedes Pingelchen ausgelotet. Während Angela auf die Bühne kommt und erst mal guckt und vielleicht noch nicht mal ihren Text kann. Aber sie gibt einem dieses tolle Gefühl, das auch das Publikum spürt: dass in diesem Moment alles passieren kann.


SZ: Ihr Wiener ¸¸Totentanz“ mit Voss als Scheusal Edgar ist bei der Kritik ziemlich durchgefallen. Es hieß, Sie hätten Ihr Augenmerk viel zu sehr auf ihn gelegt und das Drumherum sei, nun ja, öde.

Zadek: Mein Augenmerk lag vielmehr auf Hannelore Hoger. Die ist so was von wunderbar und so unterschätzt worden, dass ich es gar nicht fassen kann. Sie ist toll, weil sie so normal ist, ein Mensch. Man glaubt ihr alles, sie lügt nie. Gert Voss ist natürlich ein virtuoses Genie. Er spielt diesen Edgar mit einer solchen Eiseskälte, dass es fast nicht zu ertragen ist. Aber Hannelore erträgt es eben. Sie setzt ihre ein bisschen hausbackene Intelligenz dagegen, ihren common sense, ihre Fraulichkeit und was sie alles so hat. Das ist natürlich keine Sekunde öde.


SZ: Statt mal eine Pause einzulegen, inszenieren Sie in Hamburg ¸¸Bitterer Honig“. Kommen Sie denn nie zur Ruhe? 

Zadek: Solange ich arbeiten kann, habe ich Spaß. Wenn ich mich langweilen würde, würde ich wahrscheinlich ganz schnell sterben. ¸¸Bitterer Honig“ ist ein wunderbares Stück aus dem Jahr 1956, das ich seit vielen Jahren liebe. Geschrieben von einer 18-Jährigen, ganz offen, ohne Dramaturgie. Joan Littlewood hat es in London bearbeitet. Es gibt auch eine tolle Verfilmung, ¸¸Taste of Honey“. Ich bin durch Zufall auf das Originalstück gestoßen, Sie glauben nicht, wie schön das ist! Eine Mutter-Tochter-Geschichte, superarme Leute. Die Mutter ist so eine halbe Nutte, und die Tochter wird von einem Neger schwanger, zieht dann mit einem schwulen Freund zusammen und . . . na ja, hört sich alles recht banal an, ist aber wahnsinnig lebendig und real.


SZ: Die Tochter spielt Julia Jentsch, neben Eva Mattes als Mutter. Eine neue Zadek-Schauspielerin?

Zadek: Eva Mattes hat mich auf Julia Jentsch aufmerksam gemacht. Ich habe sie dann hierher nach Lucca eingeladen. Ich fand sie kompliziert, wirklich schwierig. Aber das ist genau das, was mich an ihr interessiert, sonst wäre sie nämlich sehr schnell langweilig. Weil sie ja auch so einen coolen preußischen Blick hat. Aber wenn man ein bisschen bohrt, sieht man eine sehr lebendige Person.


SZ: Sie werden im nächsten Mai 80. Was haben Sie sich vorgenommen?

Zadek: Theater. Zu meinem Geburtstag wird in Recklinghausen der ¸¸Hamlet“ mit Angela Winkler wiederaufgenommen. Kommen Sie vorbei!

Süddeutsche Zeitung, 26.8.2005

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