„Von Hamburg in die brandenburgische Provinz“ Deutschlandradio Interview 2.August 2005
INTERVIEW: HOLGER NOLTZE
Erst ist der Intendant des Deutschen Schauspielhauses, Tom Stromberg, in Hamburg angefeindet worden, am Ende wurde er geliebt. Zwischendurch gab es dort den Innensenator namens Roland Schill, der den Intendanten in die Pampa schicken und aus dem Schauspielhaus eine Schauspielschule machen wollte. Schill ging, Stromberg aber blieb. Jetzt geht er nach Brandenburg und gründet eine Schauspielschule.
Holger Noltze: Keine schlechte Pointe, Herr Stromberg…
Tom Stromberg: Es ist nicht ganz eine Schauspielschule, es ist eine Art Akademie, die ich gemeinsam mit dem wunderbaren Peter Zadek gegründet habe. Wir wollen auf unserer Reise, die wir machen mit „Was ihr wollt“ acht bis zehn Leute mitnehmen, die mit uns zusammen an dem Stück arbeiten, mit denen wir Workshops machen und die dann selber auch eine Produktion erarbeiten sollen.
Noltze: Das heißt, das wird eine freie Produktionsgesellschaft.
Stromberg: Das ist eine freie Produktionsgesellschaft, die „My Way Production“ heißt, nach der Biographie von Peter Zadek, die „My Way“ heißt. Und die Hauptaufgabe ist natürlich, neben der Ausbildung von jungen Leuten, drei große Shakespeareproduktionen in den nächsten drei Jahren zu machen.
Noltze: Das ganze findet im tiefsten Brandenburg statt, in einem Ort namens Streckentin. Wo liegt Streckentin, dass man sich mal orientiert?
Stromberg: Am liebsten verrate ich das natürlich nicht, dass nicht irgendwann jemand vor der Tür steht. Es ist jedenfalls zwischen Hamburg und Berlin. Also das tiefste Brandenburg ist dann doch ganz gut vernetzt. Man fährt eine Stunde nach Berlin und eine Stunde 15 nach Hamburg. Das war mir wichtig.
Noltze: Das ist ein altes Gutshaus. Was soll jetzt genau darin passieren und ab wann?
Stromberg: Also erst mal lebe und wohne ich dort. Und nach dem aufregenden Hamburg ist das ein ganz guter Rückzugsort. Aber wir werden dort die Vorbereitungen für „Was ihr wollt“ treffen. Und wir werden dann mit den Studenten dort arbeiten. Und wir werden auch die ersten sechs bis sieben Wochen dort proben. Und danach gehen wir dann mit „Was ihr wollt“ von Shakespeare in ein Schauspielhaus und probieren dann auf der Bühne die sogenannten Schlussproben.
Noltze: Wird das so eine Art Kommune Zadek?
Stromberg: Ganz im Gegenteil. Ich muss dauernd irgendwelchen Leuten erklären, dass wir nicht etwa zusammen wohnen, leben, uns gegenseitig Frühstück machen, sondern wir wollen zusammen arbeiten. Und ich bin das Gegenteil eines alternativen Landkommunenmenschen. Ich möchte dort arbeiten. Und das ist ein sehr guter Ort, um konzentriert zu arbeiten.
Noltze: Ich versuche es mir gerade noch vorzustellen. Da ist schon eine Scheune, denke ich mir, so als eine Art Probebühne?
Stromberg: Das gibt es alles dort, natürlich, und Gästezimmer, Aufenthaltsräume und einen großen Theaterraum, mit dem man sehr gut probieren kann. Also die Facilities sind alle vorhanden.
Noltze: Ist das die Konsequenz aus dem Frust mit den berühmten Strukturen eines Stadt- beziehungsweise eines Staatstheaters, dass Kreativität, Beweglichkeit nur außerhalb möglich sind?
Stromberg: Überhaupt nicht. Es gibt da überhaupt kein Dogma. Ich habe sehr gerne in Hamburg gearbeitet und, wie Sie in Ihrer Anmoderation erwähnten, am Ende sehr erfolgreich. Man kann durchaus mit großen Stadt- und Staatstheatern sehr unabhängig produzieren und tolle Inszenierungen machen. Aber es ist ein Versuch, einmal alle die Schauspieler zusammen zu kriegen, die ein Staatstheater niemals zusammenbringen würde, nämlich Peter Zadeks Lieblingsschauspieler, mit denen er seit zwanzig Jahren zum Teil arbeitet. Und die zusammen zu bringen, das kann man nur unabhängig von den Theatern, mit Hilfe der großen Festivals, die uns unterstützen. Und das ist der Versuch, den wir machen.
Noltze: Wen haben Sie dabei? Also ich lese von Susanne Lothar, Eva Mattes, Otto Sander.
Stromberg: Angela Winkler, Suse Lothar und Eva Mattes sind die drei großen Zadek-Schauspielerinnen, die übrigens noch nie zusammen gespielt haben. Und über den Rest der Besetzung, wenn Sie gestatten, gebe ich erst Auskunft, wenn wir dann eine kleine Presseveröffentlichung machen und die gesamte Besetzung feststeht.
Noltze: Das heißt aber, dass Sie von den jungen Schauspielerinnen und Schauspieler, die dort ausgebildet werden sollen, auch welche integrieren.
Stromberg: Ja, es sollen nicht nur Schauspieler ausgebildet werden. Wir wollen eigentlich aus allen Theaterberufen Leute haben, und zwar Leute, die bereits eine Ausbildung gemacht haben, also ein sogenanntes Post-Graduate. Und wir wollen quer durch die Berufe – Dramaturgen, Bühnenbildner, et cetera – Leute haben. Und die werden natürlich an dem Probenprozess teilnehmen, und werden sicher auch in der Produktion mitarbeiten und mitspielen.
Noltze: Der Plan ist also, attraktive Produktionen herzustellen, die dann auf Festivals laufen. Also zum Beispiel Ruhrtriennale, Berliner Festwochen. Herr Stromberg, folgt das nicht dann doch einem problematischen Trend zu dem, was wir immer als Eventkultur geißeln, oder die großen Festivals immer mehr Gastspielbetriebe werden, dass da eigentlich nur noch Produktionen hin und her geschoben werden?
Stromberg: Also, den Verdacht, dass ich Eventkultur mache, der ist erst mal fern. Ich habe in Frankfurt am TAT und ich denke auch mit dem sehr mutigen Spielplan in Hamburg bewiesen, dass ich mich für andere Dinge interessiere als für große Events, auch wenn ich mal bei der Expo gearbeitet habe. Aber Festivals sind ja nicht nur Abspielorte, sie ko-produzieren mit uns gemeinsam, unter anderem auch die Wiener Festwochen, das Schauspielhaus Bochum. Und ich glaube, eine Produktion von Peter Zadek, der dann übrigens 80 Jahre als sein wird, durch die deutschen Festivals und Theater zu schicken, das ist kein Festspielzirkus, sondern das ist glaube ich eine sehr ehrenvolle und wichtige Theaterproduktion, die wir diesem wunderbaren Theatermann ermöglichen.
Noltze: Aber Sie müssen natürlich schon Dinge tun, die an verschiedenen Orten auf jeden Fall attraktiv sind und gehen. Und wenn Sie sagen, Sie machen also erst mal „Was ihr wollt“ und überhaupt Shakespeare und mit den großen Namen, hätten Sie denn auch Platz für die sperrige, schmutzige, kleine Uraufführung?
Stromberg: Das ist das, was wir mit den jungen Leuten machen wollen. Wir wollen auf jeden Fall versuchen, die jungen Leute dazu zu bringen, die wir dort ausbilden, auch eine eigene Produktion zu machen. Und das wird sicher kein Shakespeare sein. Das wird sicher eine ganz andere Form eines Textes oder Form von Theater sein. Aber Dinge auf Reisen zu schicken, ich meine, das ist doch nun unser ureigenster Job als Theatermacher. Wir sind früher aus Hamburg mit Faust oder Othello auf Tournee gegangen. Wir wollen ja gerade, dass in anderen Städten auch unsere Arbeit gezeigt wird.
Noltze: Sie haben gerade das Alter Ihres Kompagnons erwähnt und wo wir schon über Risiken reden, über ästhetische, vielleicht aber auch über finanzielle, da schreibt die Neue Zürcher Zeitung in einer für sie doch seltenen Uncharmantheit, das Unternehmen von einem achtzigjährigen Zugpferd ziehen zu lassen, nämlich Peter Zadek, das sei doch ein Risiko.
Stromberg: Also, wenn Sie da auf irgendetwas anspielen, was schreckliches passieren könnte, ich bin sicher – dazu kenne ich Peter lange genug – der wird uns alle überleben.
Noltze: Er ist ein zäher.
Stromberg: Er ist ein zäher. Und ich bin ja noch ein bisschen jünger, ich werde ihm da etwas helfen.
Noltze: Es soll auch ein Ort sein für die Auseinandersetzung zwischen den Generationen, auch zwischen den Regiergenerationen, die reden sonst nicht miteinander. Sagen Sie, warum eigentlich nicht?
Stromberg: Das weiß ich auch nicht genau. Das ist etwas, was mir vielleicht auch passiert ist, dass der Kontakt der Regisseure, mit denen ich groß geworden bin, also Rene Pollesch, Stefan Pucher oder Jan Bosse, einfach abgerissen ist zu den älteren Regisseuren. Das ist ein Versäumnis, vielleicht auch ein Versäumnis der Intendanten, also auch mein Versäumnis, da nicht mehr getan zu haben. Und das will ich jetzt machen. Ich arbeite gerade wieder mit Stefan Pucher. Ich werde diese Leute mit Regisseuren wie Zadek und anderen zusammenbringen, und da bin ich mit meinen 45 Jahren vielleicht genau in der Mitte zwischen der jüngeren Generation und dem langsam achtzig werdenden Peter Zadek.
Noltze: Das geht dann doch irgendwie am großen Küchentisch in Streckentin?
Stromberg: Ach, das geht an jedem Tisch, an dem man vernünftig reden kann.
Noltze: Ist das jetzt ein Übergangsmodell, Sie haben von einem Sabbatjahr gesprochen, sehen wir Sie bald wieder irgendwo als Intendant? Können Sie das überhaupt lassen?
Stromberg: Ich glaube nicht. Nun bin ich zwei Tage jetzt nicht Intendant und die Entzugserscheinungen sind noch nicht so, dass ich dringend ein Theater brauche. Aber Theater zu produzieren, ist mein Leben und das kann man unabhängig von den großen Theatern. Das kann man in großen Theatern. Man muss einfach schauen, welche Häuser beweglich bleiben, beweglich sind, dann kann man auch in einem großen Stadt- oder Staatstheater wieder gutes Theater machen.
Noltze: Wenn Sie jetzt da aus der Brandenburgischen wo auch immer Provinz so rumgucken in die Landschaft, wo gucken Sie im Augenblick mit dem größten Interesse hin? Wo, haben Sie das Gefühl, sind Häuser beweglich?
Stromberg: Ich bewundere sehr, was Frank Baumbauer, nämlich in den Kammerspielen geschafft hat, der es ja auch, ähnlich wie ich in Hamburg am Anfang sehr schwer hatte, der jetzt mehr und mehr das Haus in den Mittelpunkt des Interesses rückt. Ich finde nach wie vor die Hamburger Theater – auch wenn ich aus Hamburg jetzt weggehe, zum Teil wehmütig, zum Teil auch lustvoll – mit ihrem zeitgenössischen Autorenansatz und diesem Theater, was dort gemacht wurde, gehören mit zu den führenden in Deutschland. Und was aus Berlin wird, bleibt abzuwarten. In Berlin kann man im Theater sehr schöne Abende erleben, aber man kann auch furchtbar deprimiert nach Hause gehen.
Noltze: Ihr Nachfolger im Deutschen Schauspielhaus, Friedrich Schirmer, er werde die Hölle erleben, haben Sie prophezeit. Was meinen Sie da im Einzelnen?
Stromberg: Ich habe ihm einfach nur das gesagt, was eigentlich alle Intendanten in Hamburg erlebt haben, ob das Ivan Nagel, Peter Zadek, Baumbauer am Anfang oder ich waren. Die Hamburger sind sehr kritisch mit ihrem Schauspielhaus, weil sie das Schauspielhaus natürlich zu ihrem Eigentum erklären, die Hamburger Bürger. Und jeder Journalist und jeder Zuschauer in Hamburg weiß am Anfang eigentlich besser, was für ein Spielplan man machen müsste. Und dagegen muss man sich erst mal durchsetzen.
Noltze: Aber so ganz schlecht ist das doch nicht, wenn die Leute Anteil nehmen.
Stromberg: Das Anteil nehmen ist nicht das Problem aber das Besserwissen und eigentlich den Spielplan machen. Das ist so ein bisschen wie bei der Fußballnationalmannschaft. Die Deutschen wissen auch wie es geht, und so wissen es die Hamburger mit ihrem Schauspielhaus.
Deutschlandradio, 2. August 2005