„Meistermonster. Dem Regie-Genie Peter Zadek zum 80.“. Tagesspiegel, 19. Mai 2006

Veröffentlicht von Thomas am

VON PETER VON BECKER

Ulrich Wildgruber, sein gewiss kühnster Lieblingsschauspieler, hat „den Peter“, den er bisweilen auch „Herrn Zadek“ nannte, mit einem Augenblitzen einmal als „großen Gangster“ bezeichnet. Auch von Gert Voss, dem anderen Zadek-Favoriten, könnte diese ironisch liebevolle Zueignung stammen – während die Lieblingsschauspielerinnen, Angela Winkler, Ilse Ritter, Susanne Lothar oder Eva Matthes, den heute 80-jährigen Jubilar wohl doch etwas sanfter und inniger rühmen.

Zunächst mal: Peter Zadek ist als Regisseur einer der bedeutendsten Theatergeister der Gegenwart. Der andere heißt Peter Brook, über den dritten Platz ließe sich streiten. Nur nicht über Peter Zadek, den einst umstrittenen, doch in seiner exzeptionellen Begabung kaum je verkannten. Der gebürtige Berliner, aus einer säkularen jüdischen Familie, fegte nach seinen Anfängerjahren im englischen Exil wie ein Wirbelsturm hinein ins teils restaurative, teils schon aufbrechende bundesdeutsche Schauspiel der späten Adenauerzeit.

Das Ungeheure: Zadek schien von Anfang an eher ein Zeitgenosse Shakespeares als des viel näheren Brecht; er war ein Wahlverwandter des wilden, auch mal vulgären, doch immer poetischen elisabethanischen Theaters. Und wurde auf den deutschen Bildungsbürgerbühnen von Ulm bis Bremen, von Berlin bis Bochum und Hamburg zugleich zum Kontaktmann, zum Brückenschlager zur angelsächsischen Pop-Revolte. Dabei war (und ist) Zadek nie primär politisch, immer zuerst ästhetisch affiziert. Ein formbewusster Formensprenger, der den jeweils radikalsten, also tiefstgründenden Ausdruck für alte und neue Stoffe suchte. So hat er Shylock und Othello gegen alle political correctness (die damals noch Prüderie und guter Geschmack hieß) als Projektionen von verdrängtem Rassenhass und Sexualneid vorgestellt, als Jidden, als Nigger, als King Kong spielen lassen. Damit hat er die abgründigsten Shakespearestücke grell erhellt. Ist den Klassikern durch die Kostümierungen falscher Klassizität hindurch ganz vital an den Nerv gegangen. Hat sie ins Herz getroffen, in die Weichteile – bei Spielern wie Wildgruber, Hans Mahnke, Ganz, Voss, Tukur, bei Hermann Lause und Sepp Bierbichler sah das oft auch gespenstisch komisch aus. Und die eigenen dramatischen Zeitgenossen hat er früh erkannt, ob Tankred Dorst, dessen Stücke und Filme er inszenierte, oder den in Deutschland lange unterschätzten Alan Ayckbourn.

Ein Gangster? Zadek kann als Theatermann und Mensch zynisch und grausam, charmant, hintertrieben, zärtlich und schonungslos sein. Nur Fassbinder kam ihm darin nah: als geniales heiliges Monster. Und nun? Zadek bleibt, in der Zahl der Einladungen, der Rekordregisseur des Berliner Theatertreffens und hat soeben den zweiten Band seiner Memoiren veröffentlicht („Die heißen Jahre. 1970-1980“, bei Kiepenheuer & Witsch). Auch will er jetzt noch einmal zu neuen Ufern aufbrechen, mit einer freien Produktionsfirma bei Berlin. Dazu Glück für morgen und heute Gratulation. 

Tagesspiegel, 19. Mai 2006

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