„Gezielte Beunruhigung. Peter Zadek wird heute 80“. Märkische Allgemeine, 19. Mai 2006
VON FRANK KALLENSEE, JAN STERNBERG
Alles wird gesagt. Und nichts. Peter Zadek redet über sich. Ausufernd, amüsant, anekdotisch, in einem Sachlichkeitston, den man blasiert nennen könnte. Denn Zadek, der große europäische Theaterveränderer, bescheinigt sich eine Ehrgeizlosigkeit, die schon deshalb wenig glaubhaft ist, weil sie auf inzwischen 1031 Buchseiten Thema ist. Pünktlich zum 80. Geburtstag, den er heute feiern kann, liegt Band zwei seiner Memoiren vor. Der erste erschien bereits 1998 und wir dürfen feststellen, dass seine Mitteilsamkeit nicht gelitten hat. Die Lebens- und Liebeserfahrungen mit Roswitha Hecke, Elisabeth Stepanek, Elisabeth Plessen werden ebenso ausgebreitet wie seine (Schau-)Spielgefährten Ulrich Wildgruber, Walter Schmidinger, Günther Lüders pointiert porträtiert werden. Dennoch: Lieber verplaudert sich Zadek über seine Experimente mit Valium und Alkohol, als tatsächlich einmal „ich“ zu sagen. Zadek erzählt, um Zadek rauszuhalten. Er ist bestechend ehrlich, um die Wahrheit verschweigen zu können. Seele, Geist und sonstige Innenwelten sind nur insoweit relevant, als er darüber sinniert, wie man sie simuliert. Auf der Bühne.
Dieses Dasein in der Distanz (zu sich selbst und anderen) hat aus ihm nie (weder in Bochum noch in Hamburg oder Berlin) einen guten Intendanten werden lassen, aber es ist bis heute die notwendige Voraussetzung seiner Regiearbeit. Zadek konstatiert; er kommentiert nicht. Die Deutschen, vor denen er mit seiner jüdischen Familie nach England floh, kann er bestaunen, sich über sie zu empören vermag er nicht. Seine Inszenierungen sind keine Tribunale. Er betrachtet sie vielmehr als Baustellen. Der Baulärm freilich, den er dort erzeugt, der kann endlos durch Köpfe dröhnen und Wohlstandsbürgers Herzrhythmen stören: Sein Hamburger „Othello“ erwürgte 1976 Desdemona und hing sie über eine Wäscheleine. Ulrich Wildgruber und Eva Mattes führten vor, was noch kein Abonnementpublikum zuvor so scham- und charmelos, so irr und trotzdem bis zur Erschüttung kreatürlich gesehen hatte. Die Aufführung wurde zum Skandal – und eine Wende in der Theatergeschichte.
Die gezielte Beunruhigung ist Zadeks Leidenschaft geblieben. Zu sehr interessiert ihn, der rastlos Neues machen muss, weil er nichts mehr als die Langeweile fürchtet, wie „normale“ Menschen in Exzesse geraten. Er beobachtet es ungerührt und rührt genau damit am Nerv der Zeit. Wie 1998 in Sarah Kanes gewaltzitterndem „Gesäubert“, wie 1999 mit einer genial fehlbesetzten Angela Winkler als „Hamlet“.
Eigentlich hätte der Jubilar kommende Woche im Prignitz-Ort Streckenthin eintreffen sollen. Im dortigen Guts-haus residiert die „my way production“, eine nach Zadeks Autobiografie benannte Theaterfirma, gegründet von Tom Stromberg, dem ehemaligen Intendanten des Hamburger Schauspielhauses. Stromberg wohnt im Dorf und wollte mit Zadek Shakespeares „Was ihr wollt“ im September zur Ruhr-Triennale bringen. Doch eine Krankheit Zadeks, von der er sich derzeit in einem Schweizer Sanatorium erholt, warf die Pläne über den Haufen. Nun wird er wohl erst im kommenden Frühjahr in Strombergs brandenburgisches Illyrien kommen. „Was ihr wollt“ ist auf Mai 2007 verschoben und soll während der Wiener Festwochen Premiere haben. Zum Achtzigsten sei Zadek darum zuallererst Gesundheit gewünscht!
Peter Zadek: My Way. 1926-1969. Kiepenheuer & Witsch, 608 S., 14,90 Euro.
Peter Zadek: Die heißen Jahre. 1970-1980. Kiepenheuer & Witsch, 425 S., 22,90 Euro.
Märkische Allgemeine, 19. Mai 2006