„Der Meister des Wahrheitsspiels. Peter Zadek: Heute wird der Regisseur 80“. Hamburger Abendblatt, 19. Mai 2006

Veröffentlicht von Thomas am

VON ARMGARD SEEGERS

Es klingt wie ein Märchen aus vergangenen Zeiten, wenn man heute daran erinnert, daß Theater in Hamburg einmal so aufrührte, daß sich nachts um 2 Uhr im Deutschen Schauspielhaus das Premierenpublikum eine halbe Stunde beschimpfte, anpöbelte und beinahe handgreiflich wurde. Das war vor ziemlich genau 30 Jahren, als Peter Zadek hier Shakespeares „Othello“ herausbrachte. Einer der größten Skandale und Triumphe, die dieses an Geschichten und Affären wahrlich nicht arme Theater je erlebte.

Peter Zadek, der heute 80 Jahre alt wird, ist der größte deutsche Theaterstar. Seit drei Jahrzehnten gilt er als Erneuerer des Theaters. Nie läßt er sich festlegen auf einen Stil, nicht einmal die Provokation bekommt man bei seinen Inszenierungen frei Haus. Er leuchtet ebenso in Menschenseelen, wie er seine Schauspieler auf Unmengen von glitschigem Slime auf der Bühne herumzappeln läßt. Bei ihm haben sich lange vor Madonna und Britney Spears Frauen geküßt, er hat den großartigen Uli Wildgruber so lange nuscheln und mit den Augen zucken lassen, bis viele ihn liebten.

Zadeks Figuren sind zerbrechlich und roh, sie suchen und sehnen sich. Eine fast leere Bühne, ein paar exzellente Schauspieler, mehr braucht Zadek nicht, egal ob er Shakespeare, Ibsen, Tschechow, englische Boulevardstücke oder Musicals wie „Andi“ oder „Der blaue Engel“ inszeniert. Das Unerwartete interessiert ihn, das „natürliche“, unangestrengte Zusammenspiel. Er ist neugierig und läßt den Schauspielern viel Auslauf. Nur so kann jederzeit alles entstehen.

Anfangs waren Zadeks Regiearbeiten Wagnisse mit unbekannten Größen. Später gab es die Zadek-Familie, Schauspieler, die zu den besten in Deutschland zählen und die jederzeit alles absagen, um mit ihm arbeiten zu können.

Zadek hat neben Theater und TV auch Filme gedreht. Anfang der 80er „Die wilden Fünfziger“, einen Film nach Johannes Mario Simmel. So viele Kräche enstanden um dieses Werk, daß Zadek danach nie wieder drehte. Aber die wilden 60er, 70er, 80er und 90er Jahre hat er außerordentlich produktiv am deutschsprachigen Theater, hauptsächlich in Bochum, Wien, Berlin und Hamburg, mitgestaltet.

Peter Zadek, 1926 in Berlin geboren, mußte vor den Nazis nach England fliehen. Dort wurde er mit 19 Jahren zu einem Mitbegründer des „New Group Theatre“. Eine Wandertruppe wurde sein nie verwirklichter Lebenstraum. Mit 21 führte er zum ersten mal Regie, brachte fortan im Wochenrhythmus neue Inszenierungen heraus.

Mit knapp 30 Jahren kehrte er nach Deutschland zurück und wurde zu einem der wichtigsten Vertreter des deutschen Regietheaters. Als Kultursenatorin Schuchardt 1986 von ihrem Schauspielhaus-Intendanten Zadek mehr Haushaltsdisziplin forderte, antwortete er: „Die Tante geht mir auf den Keks“. Humor war immer eine Stärke der Engländer.

Hamburger Abendblatt, 19. Mai 2006

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