„Die Brotlosigkeit des Seins“. Märkische Allgemeine, 29. November 2006
Der erste Jahrgang der Prignitzer Theaterakademie zeigt sich
VON MARIKA BENT
Das Ballhaus Ost in Berlin muss man sich als unsanierten Flecken im aufgehübschten Prenzlauer Berg vorstellen. Ein Gebäude, dem man sein Alter ansieht. Außen dreckig, innen schummrig. Ein Ort, der die Fantasie seiner Besucher doppelt beflügelt, beherbergt er doch ein freies Theater. Dort stehen dieser Tage die Absolventen von Peter Zadeks und Tom Strombergs Theaterakademie auf der Bühne und man fragt sich, wie sie das Ballhaus Ost, dieses unsubventionierte, ungeschminkte Berliner Kulturgeschöpf, wohl wahrnehmen. Als Stätte realen Künstlerlebens? Die sieben Schauspieler scheinen sich der mitunter unerträglichen Brotlosigkeit ihres Seins durchaus bewusst zu sein, trägt ihr Stück „Selbstauslöser“ doch den ironischen Untertitel einer „theatralen Entwicklungshilfe“. Die leistete seit April dieses Jahres der ehemalige Hamburger Intendant Tom Stromberg. Seine erste Meisterklasse lebte und arbeitete in Strombergs Gutshaus in Streckenthin (Prignitz). Vom Ballhaus Ost aus gesehen ein Hort seeligen Landlebens, das auch im Stück mit allerhand Ach-war-das-schööön!-Rufen nachträglich bejubelt wird. Was sich die jungen Leute – allesamt Absolventen diverser Kunst- oder Schauspielschulen – während ihrer siebenmonatigen Klausur à la Rousseau erarbeitet haben, ist ein Stück von ausgesprochen selbstbezüglicher Natur. Es geht um Rollenspiele. Mit Simon, Rosa, Silke und Sven haben sich die Jungmimen vier Figuren ausgedacht, bei denen vor allem eines gilt: Jeder darf mal. So schlüpfen sie nacheinander in die Haut von Silke, die gern auf Beerdigungen geht, eigentlich Schauspielerin sein will und doch nur einen Teebeutel (Pfefferminz aus ökologischem Anbau) darstellen darf. Ein recht gebeuteltes Leben führt auch Sven. Er ist unglücklich in eine Leuchtturmwärterin verliebt und wird zum Gespött der Lachmöwen. Rosa ist eigentlich ein Mann, der sein primäres Geschlechtsmerkmal auf einem Kleintierfriedhof gleich neben dem Grab einer Katze verscharrt hat. Recht bizarre Rollenspiele, aus denen die Darsteller alsbald ausbrechen, um klassische Monologe aus Kleists „Penthesilea“ zu zitieren. Doch auch diese bleiben nicht unwidersprochen. Auf Kleist folgt die Telefonnummer der Schauspielerin. Man deutet auf sich selbst und sagt: Seht her! Das ist unser Geschäft! Nicht Verbitterung, sondern Galgenhumor begleitet den Fingerzeig. Zum Glück, denn sonst wäre aus diesem kurzweiligen Stück eine unerträgliche Nabelschau geworden.
Märkische Allgemeine, 29. November 2006