„Kunst statt Kerngeschäft“. Süddeutsche Zeitung, 17. November 2007
Die neuen „Impulse“-Chefs, Tom Stromberg und Matthias von Hartz, wollen dem größten Festival des Off-Theaters eine neue Richtung geben
von VASCO BOENISCH
Auch so funktionieren Karrieren. Zum Ende seiner Intendanz am Deutschen Schauspielhaus in Hamburg klingelt bei Tom Stromberg das Telefon. Einen Ratschlag will man, einen Tipp von einem, der viel herum kommt und die Szene kennt: wen man denn mal fragen könne für die neue Leitung des Off-Theater-Festivals „Impulse“. Man zählt auf, was der- oder diejenige mitbringen und können soll. Bis Stromberg unverfroren antwortet: „Sagt doch endlich, dass ich das machen soll!“
So erzählt er es jedenfalls jetzt, zwei Jahre später, in einem Kölner Café. Neben ihm sitzt Matthias von Hartz, mit dem sich Stromberg auf eigenen Wunsch die Leitung teilt. „Leider auch das Ge-halt“, wie er nonchalant ergänzt, um zu zeigen, dass man sich, eigentlich unter Wert, für eine Herzensangelegenheit aufreibt. Die beiden kommen gerade von einer der vielen Pressekonferenzen, auf denen sie an den Spielorten Bochum, Düsseldorf, Köln und Mülheim die Werbetrommel rühren. In den letzten zwei Jahren Vorbereitungszeit haben die beiden alles dafür getan, dass die „Impulse“ nicht nur ein Publikumserfolg, sondern auch konzeptionell neu belebt werden.
Was das Berliner Theatertreffen für die Stadttheater, ist das Festival „Impulse“ für die Off-Szene: eine Leistungsschau der besten deutschsprachigen Inszenierungen der Saison. Nach einer Auszeit 2006 findet das Festival in diesem Jahr vom 21. November bis zum 2. Dezember zum vierzehnten Mal statt, wie immer an verschiedenen Orten in Nordrhein-Westfalen. Man könnte das natürlich viel einfacher haben, wenn man nur in einer Stadt spielte, sagt Stromberg und kann dabei eine gewisse pragmatische Sympathie für die Idee nicht verhehlen, aber das widerspräche dem kulturföderalen Impetus – und dem besonderen Reiz des Festivals: Die Aufführungen touren von einem Ort zum anderen; wobei diesmal nicht mehr jede Produktion in jeder Stadt gezeigt wird. Stattdessen setzen sich die Zuschauer in Bewegung.
An „Marathon“-Tagen wird man per Shuttlebus bis zu vier Inszenierungen hintereinander sehen können. „Das ist eine Überforderung und eine energeti-sche Aufladung, die für ein richtiges Festivalgefühl wichtig sind“, sagt Stromberg. Der größte Vorteil: Man lockt das notorisch eilige Fachpublikum an, die Journalisten, Kuratoren, Dramaturgen, die bislang viele Tage bleiben mussten, um sich einen Überblick zu verschaffen. Dass mittlerweile etablierte Regisseure wie Sebastian Nübling, Barbara Frey, René Pollesch oder die Dokumentartheatertruppe Rimini Protokoll einst bei den „Impulsen“ vertreten waren, beweist nicht nur das traditionell gute Gespür der Juroren – Stromberg saß selbst zweimal im Auswahlgremium -, sondern auch, dass das Festival ein wichtiges Sprungbrett ist.
Bei ihrer Neuausrichtung setzen Stromberg und von Hartz vor allem auf Internationalität und Vernetzung. Sie haben Festivalmacher eingeladen, die vielleicht einige der Aufführungen in ihre Programme übernehmen. Auch kooperieren sie mit dem Goethe-Institut, das für eine der Produktionen eine internationale Tournee organisiert; ein weiterer Preisträger wird zum nächsten Theatertreffen eingeladen. Bei den letzten „Impulsen“ war dies Sebastian Nübling mit dem Jugendstück „Fucking Amal“, das er am Jungen Theater Basel inszeniert hat. Solch konventionelles Ein-Drama-ein-Regisseur-Theater gibt es nun jedoch nicht mehr. Der neue Look, vom Berliner Fotografen Daniel Josefsohn in Wackelwerbevideos kreiert, verspricht Punk; die Produktionen haben Performance-Charakter.
Rund vierhundert Aufführungen sichteten Stromberg, von Hartz und ihre Mitstreiter, neun luden sie ein (zusammen mit zwei europäischen Gastspielen von Jérôme Bel und Cuqui Jerez). David Marton, der schon für Castorf und Marthaler komponierte, lässt Henry Purcells „Fairy Queen“ im U-Bahnhof singen. Ivana Müller zeigt eine minimalistische Imaginationsperformance; die Schweizer Gruppe mikeska:plus:blendwerk lädt die Zuschauer zu einem Krimi ins Hotel; Monster Truck versprechen „trashiges Bildertheater“ und She She Pop „charmante Showgirls“. Showcase Beat Le Mot zeigt ein groteskes „Räuber Hotzenplotz“-Spektakel. „Eine gemeinsame ästhetische Strömung kann man da kaum ausmachen“, sagt Stromberg, „aber alle verbindet, dass die Aufführungen aus einem Kollektivgedanken heraus entstehen.“ Die Gruppe als Autor, Regisseur, Akteur. „So, wie es am Stadttheater niemals möglich wäre.“
Stromberg weiß, wovon er spricht. Als er das Hamburger Schauspielhaus in den ersten Jahren für allerhand versprengtes Off-Theater öffnete, musste er feststellen, dass Publikum, Presse und Politik nicht mitzogen. Daher verbinden sich für Matthias von Hartz – als Projekt-Regisseur ist er zwischen freier Szene und Stadttheatern unterwegs (und neuerdings Kurator des Sommerfestivals im Hamburger Kulturzentrum Kampnagel) – mit den „Impulsen“ auch ein kulturpolitisches Anliegen. „Das Stadttheater bietet diesen Gruppen keine Arbeitsmöglichkeiten. Die meisten haben sich ohne institutionelle Unterstützung allein etwas aufgebaut.“ Das Münchner Trio Die Bairishe Geisha etwa, das mit japanischer Weißwurstfolklore eingeladen wurde, oder auch die Österreicher von God’s Entertainment, die live aus Computergames blessurenreichen Box- und Straßenkampf machen.
Da stört es von Hartz auch nicht, wenn einige Inszenierungen noch nicht so geschliffen wirken. Man wolle eher das Potential fördern und ermutigende Ansätze würdigen. Die Berliner Truppe Das Helmi etwa, die „aus eigenen bis gar keinen Mitteln“, wie es heißt, im Wohnzimmer ihre Aufführungen erarbeitet, ist gleich mit zehn Stücken eingeladen: Mit zerknautschten Schaumstoffpuppen spielt sie Filme, Biographien und absurde Storys nach. „Es gibt eine große Diskrepanz zwischen Produktionsbedingungen und künstlerischen Ergebnissen“, findet von Hartz. Mit weniger Mitteln machten Off-Theater oft größere Kunst.
Kunst – das ist das Lieblingswort der neuen „Impulse“-Chefs. Fragt man Tom Stromberg nach dem starken Performance-Anteil des Programms, erklärt er: „Dass man mit schlechteren Schauspielern und schlechteren Bühnenbildern Klassiker nachspielt, dieses abgehalfterte Theatertum gibt es in der Off-Szene immer seltener. Was die Off-Leute auszeichnet, ist ihr Selbstverständnis als Künstler.“ Sie teilten eine Theaterauffassung, die Stromberg so formuliert: „ein Versammlungsort, an dem sich die Leute mit etwas beschäftigen, was Kunst heißt – nicht: Repertoire. Fragen Sie mal einen Schauspieler am Stadttheater, ob er sich als zeitgenössischer Künstler bezeichnet.“ Und Matthias von Hartz ergänzt: „Dass Deutschland das größte Stadttheatersystem der Welt hat, ist ja nicht schlecht, es hat nur nicht unbedingt etwas mit Kunst zu tun.“
Es sind also zwei ausgewiesene Off-Anwälte, die hier sprechen, stolz, selbstgewiss. Eine Option auf Mandatsverlängerung bis zu den nächsten „Impulsen“ 2009 haben sie in der Tasche, und wenn das Festival dieses Jahr so erfolgreich wird, wie es vielversprechend ist, sagen sie zu. Stromberg – der zurzeit auch noch versucht, die Finanzierung der zusammen mit Peter Zadek gegründeten Theaterakademie bis 2011 zu sichern, auch wenn es mit den großen Shakespeare-Inszenierungen in den nächsten Jahre sicher nichts werde – verneint vehement jedes Interesse, noch mal ein großes Haus zu leiten. „Nie mehr Spielplankompromisse. Nie mehr „Kerngeschäft“. Nur noch: Kunst.
Süddeutsche Zeitung, 17. November 2007