„Wünsche und Wirklichkeiten Die w.i.w. Akademie Brandenburg präsentiert sich mit „Fettschweif““. Berliner Zeitung, 19. Januar 2009
Von Doris Meierhenrich
Es muss viel diskutiert, probiert, verworfen worden sein, während der letzten Wochen im Gutshaus Streckenthin/Pritzwalk. Dem Hausherrn wird’s gefallen haben, denn nichts anderes hat Tom Stomberg vorgehabt, als er mit Peter Zadek vor drei Jahren die w.i.w. Akademie Brandenburg gründete: radikal Nachdenken über Theater. Mittlerweile muss die Postgraduierten-Akademie ohne den kränkelnden Altmeister auskommen. Und sie macht das Beste daraus, nämlich ein Theaterlabor der Zukunft, das zum Entdecken eigenständiger Erzählweisen und neuer Theaterformen ermutigen will.
Um den Forschungsstand des 3. Jahrgangs vorzuführen, ist die „Visionauten“-Reihe des Gorki Theaters derzeit sicher der beste Ort. Und mit „Fettschweif“ gelingt den fünf Stipendiaten auch eine Arbeit, der man die visionautisch unfertige Fülle an Ideen und Denkwegen sympathischerweise noch ansieht. Es ist ein kleines Theaterspiel über die Möglichkeiten des Theaters und die Wunschmaschine Mensch, verpackt in mal naive, mal erfrischend vielschichtige Bilder.
Eigentlich sollte der „Fettschweif“ um Geiz und Gier kreisen, nun aber laufen Kai Fischer, Ann-Sophie Heier, Madeleine Koenigs, Beatrice von Moreau und Christopher Weiß in Laborkitteln durch das Brinkmannzimmer, verteilen Fragebögen, platzieren Gummibärchen in ein kleines Bühnen-Modell und fertigen seltsame Porträts an.
Eine ganze Galerie solcher hybrider Schnipsel-Porträts entsteht so, während das Publikum die Fragebögen studiert und dafür seine „Wünsche“ und „Albträume“ ergründet. Doch unter den Zombie-Porträts außen enthüllt sich die Wunschergründung innen plötzlich selbst als ebensolches Flickwerk. Eine Szenenfolge aus Überblendungen von Wünschen und Wirklichkeiten beginnt. Angstgeschichten von Gondelkatastrophen und Schiffsunglücken werden erzählt, während eine Kamera mit raffinierten Winkeleinstellungen diese als live produzierte Filme auf die Rückwand wirft. Immer spalten sich die Erzählstränge sofort in mehrere Vorstellungsrichtungen: in die des simplen Vortrags vorne und die der Illusionsherstellung hinten. Es ist das komplexe Ineinander von Nüchternheit und illusionärer Ausschmückung jeden Erzählens. Neu ist das nicht, auch nicht die Live-Filmtechnik. Und doch öffnet sich eine kurze Stunde lang das Theater als Möglichkeitsraum, dem man eine Verlängerung dieser Forschung wünscht.
Berliner Zeitung, 19. Januar 2009