Ehemaliger Expo-Kulturchef erinnert sich an die Weltausstellung Hannoversche Allgemeine, 4. Februar 2010

Veröffentlicht von Thomas am

Interview mit Tom Stromberg von Rainer Wagner

Tom Stromberg war künstlerischer Leiter des Kulturprogramms der Expo. In dieser Funktion hat er auch das „Faust“-Projekt von Peter Stein in Hannover ermöglicht. Der ehemalige Expo-Kulturchef erinnert sich an die Weltausstellung in Hannover.

Herr Stromberg, wie erinnern Sie sich an Hannover und an die Expo 2000, deren Kulturchef Sie waren? Mit Wehmut? Mit Stolz?

Das ist eine Mischung. Ich habe ganz viele Dinge ausgeblendet. Es passiert mir durchaus, dass ich Leute, mit denen ich mehrere Jahre gearbeitet habe, die mir aber nicht sehr angenehm waren, inzwischen komplett vergessen habe.

Das kann eine Gnade sein…

Peter Stein etwa blende ich gerne aus, denn das war trotz all dem Spektakulären und Spekulativen eine sehr unangenehme Zusammenarbeit.

Warum?

Nur ein Beispiel: Bei der Generalprobe von „Faust“ rief Stein in einem Tobsuchtsanfall an und beschwerte sich, dass andauernd Flugzeuge über der Halle fliegen. Das würde ihn stören, und man möge doch bitte bei der Flugsicherung anrufen, damit für die Dauer der Generalprobe die Flugzeuge umgeleitet würden.

Für diese zwölf Stunden?

17 Stunden, fürchte ich. Daran erinnere ich mich trotz allem Unwohlsein, was Herrn Stein angeht.

Hatten Sie damals gedacht, dass Steins „Faust“-Komplettpaket Nachwirkungen haben würde? Ästhetische?

Ästhetische? Na ja. Aber es gibt wohl keinen Schüler, der sich mit „Faust“ beschäftigt, der nicht die DVD ansehen musste, die von dieser Aufführung gemacht wurde.

Da war die Expo also doch schon sehr nachhaltig?

Das wunderbare Wort der Sustainability, das damals ja jeder im Munde führte, passt hier. Aber dass dadurch die Theaterwelt nachhaltig verändert würde, daran habe ich damals nicht geglaubt. Und die anderen wohl auch nicht.

Haben Sie sich denn Steins „Wallenstein“ in Berlin angeschaut?

Nein. Ich habe danach nie wieder etwas von Peter Stein gesehen.

Abgesehen von Peter Stein? Ist etwas geblieben?

Es gibt natürlich auch gute Erinnerungen. Vor allem an Birgit Breuel, die mir damals ans Herz gewachsen ist. Ich halte sie für eine ganz tolle Frau. Und sie hat uns bei vielen, vielen Projekten – von „Theaterformen“ bis zeitgenössischer Kunst auf dem Gelände – unheimlich den Rücken gestärkt. Das andere ist die leider mittlerweile verstorbene Marie Zimmermann, die Ulrich Khuon und ich noch vor der Expo zur Leiterin der „Theaterformen“ gemacht haben – das war der Beginn ihrer internationalen Karriere.

Was ist geblieben?

Dass die beiden Festivals „Theaterformen“ und „Tanztheater international“ nach wie vor bestehen und von überregionaler Bedeutung sind, das rechne ich uns schon an. Das eine war schon abgewirtschaftet, das andere stark gefährdet. Wir wollten schließlich das, was die Region zu bieten hat und was über die Region hinausstrahlt, so stärken, dass es nach der Expo weitergeht. Und beim Kunstprojekt, das Kaspar König auf der Expo verwirklich hat, gab es wirklich Entdeckungen, bei denen wir alle den richtigen Riecher hatten.

Ihr Theaterunternehmen heißt „wasihrwollt“. Was will das Publikum heute?

Da gibt es zwei ganz entscheidende Strömungen: Es gibt auch ein junges Publikum, das sehr konservativ ist. Die sagen: Wir wollen Theater nicht dechiffrieren müssen, erzählt uns doch einfach die Stücke. Aber es gibt natürlich auch ein großes Publikum, das sich voller Freude und Genuss darauf einlässt, dass sich die Regisseure heute überhaupt nicht als ewig wiederkäuende Coverband begreifen, sondern als Künstler.

Aber käuen ein Thalheimer oder ein Castorf nicht auch wieder? Ihren eigenen Stil oder ihre Masche?

Das ist doch normal, dass sich in einem langen Theaterarbeitsleben manches wiederholt. In der letzten Spielzeit war für mich die herausragende Inszenierung Castorfs „Kean“ an der Volksbühne. Eine beeindruckende Arbeit.

Was halten Sie denn vom Streit um das Regietheater, den Daniel Kehlmann mit seiner Salzburger Festspieleröffnungsrede anzetteln wollte?

Ich glaube, Herr Kehlmann hat einfach zu wenig Ahnung vom Theater. In der Breite dessen, was am Theater derzeit läuft, von den Altmeistern wie Marthaler oder Castorf bis hin zu Wieler, Kriegenburg, Kimmig, Bosse, Pucher oder Stemann, den ich besonders interessant finde. Da gibt es so viele tolle Regisseure.

Das Theater ist eigentlich immer in der Krise. Aber jetzt muss es in einer globalen Wirtschaftskrise bestehen. Wirkt sich das auf das Bewusstsein aus?

Vor allem auf das Bewusstsein derer, die dem Theater das Leben immer schwer machen. Die Finanzexperten der Städte, die jetzt glauben, gute Argumente für weitere Kürzungen zu haben. Aber der gesellschaftliche Konsens, in dem wir leben, lautet, dass bestimmte Werte der Kunst und Kultur erhalten werden müssen. Wenn wir die Grundversorgung in den Städten nicht aufrechterhalten können, gefährden wir ein gesellschaftliches Miteinander.

Wie geht es denn mit der Theaterakademie weiter, die Sie zusammen mit dem vor einem halben Jahr verstorbenen Peter Zadek gegründet hatten?

Das ist ja ein Projekt, das von der Kulturstiftung des Bundes für fast vier Jahre unterstützt wurde. Das war auf Zeit angelegt. Und mit Zadeks Tod ist ein Punkt gekommen, an dem man dieses Projekt beendet. Aber es gibt ja auch andere Projekte…

Zum Beispiel?

Ich leite ja zusammen mit Matthias von Hartz des Theaterfestival „Impulse“ der freien Szene in den deutschsprachigen Ländern. Das wird 2011 weitergehen. Und ich habe ein Büro aufgemacht und vertrete eine ganze Reihe von Regisseuren, mit denen ich eng zusammenarbeite.

Ist das eine Art Künstleragentur?

Vermitteln muss man die ja nicht, denn die sind alle gut im Geschäft, die können sich aussuchen, wo sie arbeiten.

Sind Sie eine Art Spielerberater, eine Mischung aus Agent und Dramaturg?

Altmodisch würde ich es Impresario nennen. Manchmal ist man da auch Kindermädchen. Und die ganz jungen brauche extreme Beratung, denn die kommen von der Regieschule und wissen gar nichts von den Arbeitsbedingungen, den Vertragsregelungen und auch den Fallen des Betriebs.

Wir sind ja derzeit in einer Theatersaison des Auf- und Umbruchs. Überall geht Neues los. Finden Sie das spannend?

Ich finde das sehr spannend. Ich beobachte genau, dass es Joachim Lux, der zum ersten Mal Intendant geworden ist, am Thalia Theater trotz hochkarätiger Schauspieler und Regisseure nicht einfach hat. Und dass sein Vorgänger Ulrich Khuon merkt, dass in Berlin ein anderer Wind weht als in Hamburg. Aber ich bin sicher, dass er das in den Griff kriegt. Und ich habe das Wiener Burgtheater gut im Blick.

Sind Sie gelegentlich auch in Hannover in Theater?

Ich war in der Lars-Ole-Walburg-Zeit noch nicht in Hannover, aber ich komme demnächst, weil ich im Kulturausschuss über die freie Szene berichten soll. Da will ich mir natürlich einiges ansehen.

Was ist denn derzeit die aufregendste Theaterstadt?

Es kann eigentlich nur Berlin sein. Wegen der Vielfalt.

Wagen wir einen Blick nach vorn. Wird es die deutsche Theaterlandschaft, so wie sie ist, in zehn Jahren noch geben?

Bin ich ganz sicher. Die Sehnsucht nach der Livebegegnung ist ungebrochen. Die Sehnsucht, den Leuten ins Gesicht zu sehen und deren Unzulänglichkeiten und deren Brillanz zu erleben.

Stört es Sie eigentlich, dass viele Leute beim Stichwort Stromberg nicht an Sie, sondern an einen komischen Fernsehcharakter denken?

Ich kenne die Truppe ganz gut. Ich habe mit Christoph Maria Herbst noch zu Hamburger Schauspielhauszeiten ein Kickerturnier veranstaltet: Stromberg gegen Stromberg. Das war sehr lustig. Aber wenn man sich sein Leben lang auf einer Semiprominzebene zumindest in Theaterkreisen bewegt und dann im Hotel der Portier fragt: „Na sind Sie auch so ein schlimmer Chef? Hihihi“, dann geht einem das schon auf den Sack.

Hannoversche Allgemeine,  4. Februar 2010 

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