„Vergänglichkeit in Holz“ Beitrag in „Thorsten Passfeld. Ich bin zurück“, hrsg. von Alexander Sairally, Bielefeld 2010
Thorsten Passfelds „Hoftheater Vier Linden“ hinterm Deutschen Schauspielhaus in Hamburg (2004)
Tom Stromberg
Hinter dem Schauspielhaus Ecke Ellmenreich- und Baumeisterstraße fällt eine offene Fläche in ansonsten dichtester Bebauung auf, umgrenzt von Gebäuden und Straßen. Räudiger Rasen, zwei Kastanien, Müll. Etwas „Zusätzliches“, „Überflüssiges“. Ich hatte von einem vielseitigen Hamburger Künstler gehört, der mit Farbe, mit Holz, mit Musik, Film und Texten arbeitete. Nach einem Besuch im „Atelier“ von Thorsten Passfeld war mir klar: Mit dem machen wir was gemeinsam. Er saß im ehemaligen Mojo-Gebäude am Anfang der Reeperbahn als typischer Künstler-Zwischennutzer in eisiger Kälte einer wahrscheinlich asbestverseuchten ehemaligen Bowlingbahn und erzählte mir, dass er auf das künstlerische Arbeiten mit Holz eigentlich gekommen sei, weil in der Kälte die Ölfarben immer eingefroren waren. Man beachte: Da beschwerte sich nicht jemand über miserable Arbeitsbedingungen, sondern wollte nur klarmachen, dass er keine Lust gehabt hatte, so lange nichts machen zu können! (Nebenbei: 2009 musste das Gebäude von den Künstlern geräumt werden und wurde abgerissen für die „Tanzenden Türme“ von Teherani und Konsorten, ein Hochhauskomplex, der dort bis 2012 entstehen soll. Nutzung: Büros, Hotel, Mojo. Die Arbeitssituation für Bildende Künstler in Hamburg ist nach wie vor ausgesprochen schwierig).
Nachdem Thorsten Passfeld das Holz in die Hand genommen hatte, ließ es ihn nicht mehr los und es entstanden sein erstes Gebäude HAUS AUS HOLZ hinter der Reeperbahn (2002), das er wie alle späteren Häuser nach Projektende wieder abriss, und viele andere wunderbare Sachen in Holz. Passfelds Arbeiten aus Altholz haben etwas Raues, Schlicht-Einfaches, sind hölzern stabil und verströmen eine Atmosphäre archaischer Heimatlichkeit. Zugleich sind sie von irritierender Fragilität, im Detail akribisch genau und verweigern sich im „falschen Material“ ganz selbstbewusst Funktionalität und Nützlichkeit.
Recycling von Material, ein Arbeitsprozess im öffentlichen Raum an einem vergänglichen Produkt – Passfeld und das Theater passen gut zusammen. So entstand der gemeinsame Plan zu einem kleinen Theater aus Holz, das zur Spielzeiteröffnung 2004/05 auf dem Grün hinterm Schauspielhaus entstehen sollte. Thorsten Passfeld baute den Sommer über in wochenlanger Kleinarbeit. Wie bei allen anderen Holzarbeiten verwendete er Altholz, das er in nächtlichen Streifzügen in Sankt Pauli aufspürte und bei Abrissunternehmen, auf Baustellen und aus Containern sammelte. Immer wenn man hinter dem Schauspielhaus vorbeiging, war er am Bauen, ganz allein, in akribischer Kleinarbeit, viele, viele Stunden lang.
Im September stand es fertig da: Das HOFTHEATER VIER LINDEN, erbaut unter zwei Kastanien, mit Foyer, Zuschauerraum, Bühne und vielen kleinen Kunstwerken. Rund 130 Quadratmeter groß, mit tausend kleinen und größeren Accessoires ausgestattet für die Zuschauer, die mit kindlicher Entdeckerfreude überall herumgingen und Holzobjekte entzückt kommentierten, die mit der Funktionalität ihrer Vorbilder spielten, wie der lebensgroße Rasenmäher, das Wandtelefon ganz aus Holz oder die vielen Vogelkästen mit vergittertem Einflugloch.
Eine Woche lang war das HOFTHEATER VIER LINDEN Ort für ein exquisites kleines Musik- und Theaterprogramm mit Theaterprojekten der Regieassistenten und der Kapelle des Schauspielhauses mit den ewig unvergessenen Lieven Brunckhorst, Martin Engelbach und Dirk Ritz. Von „draußen“ hatten wir die Schischischos Sven Amtsberg, Michael Weins und Alex Posch geholt, Rocko Schamoni und Heinz Strunk mit ihren Lesungen und Jacques Palminger & Reverend Dabeler mit einer Body Painting Performance. Es gab einen Kindernachmittag, und die „Lange Nacht der Theater“ war zu Gast in unserem kleinen Theater. Den Abschiedsabend gestaltete Passfeld selbst mit Lesung, Musik und Film.
Am nächsten Tag fing er mit dem Abriss an, zum größten Bedauern von Zuschauern und Theatermitarbeitern – programmgemäß. Er selbst sagte dazu, er baue seine Häuser „aus Höflichkeit“ wieder ab, die seien eben für eine kurze Zeit der große Aufriss, erhielten sehr viel Aufmerksamkeit, was ja auch sehr schön sei, aber dann sei es auch mal genug und die müssten dann wieder weg. Es ist unbedingt wieder Zeit für ein neues Projekt im öffentlichen Raum nach all dem, was in Hamburg 2009 so passiert ist…
Tom Stromberg, Leiter des Theaterfestivals „Impulse“ (gemeinsam mit Matthias von Hartz) und Theaterproduzent, war von 2000 bis 2005 Intendant des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg. Auf seine Einladung hin realisierte Thorsten Passfeld 2004 das HOFTHEATER VIER LINDEN in St. Georg hinter dem Deutschen Schauspielhaus.