„Küsse Bisse Risse. 60 Jahre Theater der Zeit“. Theater der Zeit, Mai 2006
Beitrag zum Heft 5 Theater der Zeit: „60 Jahre Theater der Zeit“. Mai 2006
Eigentlich hatte ich überhaupt keine Lust. Nicht wegen Theater der Zeit, schon okay das Blatt. Aber das Thema … „Theater im Glück“. Was soll mir denn dazu einfallen? Im Kino gab’s Glücksmomente. Aber im Theater? Von vergangenen Heldentaten schwärmen?
Dann der 4. März 2006. Matthias Lilienthal, Intendant vom Hebbel am Ufer (HAU), bestellt mich auf 22 Uhr ins Foyer. „Jonathan Meese und seine Lieblingsfilme im Erfrischungsraum“. 4 Stunden Mensch Meese pur – keine Pause, kein Atemholen möglich. Meese steht vor der Leinwand, hinter ihm „Mad Max 1“. Er wiederholt die Szenen – 1x 10x 100x – erklärt lamentiert beschimpft das unverständige Publikum. Schreit seine Verachtung für Künstler mit Stipendium und Zertifikat raus, für „Befindlichkeitsterrorismus“ und Mitläufertum. Ein Künstler rast in elementarer Wut gegen das Zweitbeste. Verlangt Helden, Schönheit, rotzt uns den Hitlergruß entgegen und zeigt Fotos von Nazigrößen. Trinkt Whisky, ist besoffen, fällt vom Tresen. Wir Zuschauer fasziniert-gebannt-amüsiert. Der wunderbare Stefan Kaegi von der Theatergruppe „Rimini Protokoll“ steht mit offenem Mund dabei. Schweizer haben eben keinen Beuys, keinen Nitsch und unter Authentizität versteht „Rimini Protokoll“ etwas anderes – oder?
Mit uns auch Bernhard Schütz, sitzt ruhig 3 Stunden lang da, ein Bier nach dem anderen trinkend. Irgendwann steht er auf, zieht sein Hemd aus, Meese und er übergießen sich mit Wasser, tanzen. Fruchtbarkeitstänze, archaisch. Zwei griechische Tragöden. Kämpfen miteinander – gegeneinander – gegen die Welt. Schütz reißt die Meese-Plakate von den Wänden, steckt sie Meese in die Hose. „Das alles ist hermeneutisches Training“ steht auf einem. Küsse Bisse Risse. Balztanz zweier großer Performer. Zuletzt fallen beide erschöpft in die Sessel – überMANNT.
Regisseure, besetzt die beiden! Mein Vorschlag: Schütz ist Jago, Meese Othello.