„Die Vorstellung der Wahrnehmung – Juan Muñoz und John Berger“. Madrid 2005

Veröffentlicht von Thomas am

In spanischer Übersetzung erschienen als: La representación de la percepción. Juan Muñoz y John Berger“, in: Juan Muñoz. La voz sola. Esculturas, dibujos y obras para la radio. La Casa Encendida 16 marzo – 20 junio 2005, Madrid 2005

Juan Muñoz habe ich kennen gelernt, als er sich an einem Projekt zum performativen Arbeiten Bildender Künstler in Basel beteiligte.

Muñoz interessierte sich für eine Zusammenarbeit mit dem englischen Kunsttheoretiker und Schriftsteller John Berger. Daraus entstand ein ganz besonderes, Kunstgattungen und Sprachen übergreifendes Radio-Projekt: Will it be a likeness/Ist es, ist es nicht, das wir 1996 im Theater am Turm (TAT) in Frankfurt/Main uraufführten. Eine kunstvoll verflochtene Erzählung von Goya und seinem Hund, vom Abbild und der Ähnlichkeit, von der Wahrnehmung von Gegenwart und Abwesenheit, vom politischen Widerstand und der Kapitalisierung der Welt, von der Musik und von der Stille. Will it be a likeness wurde im folgenden Jahr zum „Hörspiel des Jahres“ ausgezeichnet.

Die Tatsache, dass John Berger und Juan Muñoz sich gerade das Radio als Medium von Überlegungen zur Bildenden Kunst aussuchten, war natürlich allein schon ungewöhnlich.

Aber wir wollten das Spiel mit Gleichzeitigkeit, Präsenz und Vorstellung um weitere Dimensionen bereichern und auf die Spitze treiben. Deshalb entwickelten Berger und Muñoz aus dem Text ein Hörspiel, das live im Hessischen Rundfunk übertragen wurde – mit John Berger als Sprecher. Und simultan wurde das „Hörspiel“ auch als „Theaterstück“ im Bockenheimer Depot des TAT als Eröffnung einer Projektreihe „Phase 2“ zur Bildenden Kunst im Theater aufgeführt. Berger nahm also sein Hörspiel nicht in einem Studio auf, sondern auf einer Bühne vor Zuschauern.

Die Radiohörer einerseits und die Theaterbesucher auf der anderen Seite waren dadurch mit völlig verschiedenen Wahrnehmungen konfrontiert. Den Hörern empfahl Berger das Radio als bevorzugtes Medium der Bildbeschreibung: „On the TV screen nothing is ever still, and this movement stops painting being painting. Whereas on the radio we see nothing, but we can listen to silence. And every painting has its own silence”. Die Theaterbesucher dagegen sahen sich mit Muñoz` Bühnen-Trias Berger – Geräuschemacher – Übersetzer konfrontiert. Berger nahm in der Mitte der Bühne hinter einem Tisch Platz, links von ihm war der Geräuschemacher für Hundelaute, Türen schlagen, Schritte und die leisen Flügelschläge der Schmetterlinge zuständig und rechts übersetzte ein deutscher Schauspieler Bergers Englisch zum Teil simultan, zum Teil zeitlich versetzt und zum Teil auch gar nicht ins Deutsche. Nicht genug des Schauens, postierte Juan Muñoz vor diese Trias drei verhüllte Körper und eine bekleidete Figur. Hinter Berger setzte ein roter Vorhang Assoziationen frei. Die Szene tauchte Muñoz in rotes Licht.

Die drei Frauen ließ er später von einem Zauberer wegzaubern – ein spektakulärer Moment für die Theaterzuschauer. Für die Radiohörer natürlich irritierend, da sie die bloße Stille hörten. Denn dieser Zauberakt vollzog sich stumm. Viele Hörer haben nachher beim Sender gefragt, ob es eine Störung bei der Übertragung gegeben habe. Nein, Stille und Stummheit, der taube Goya und der stumme Bahnreisende, die Vorstellung von etwas (schön, dass dieses Wort im Deutschen auch ein Theaterbegriff ist) und die reale Präsenz waren essentiell.

Ich war beeindruckt, wie sicher dieses Bühnen-Tableau von Anfang an vor Muñoz` innerem Auge stand und freute mich, ihn mit der Übernahme der Probenarbeit mit den Schauspielern bei der Verwirklichung seiner Vorstellung unterstützen zu können. Muñoz geleitete die Zuschauer von Goyas Bild vom Hund (in Bergers Vorstellung!) zu den Imaginationen, die durch den Geräuschemacher befreit wurden zu den Assoziationen, die die Figur im weißen Hemd und die drei Frauen hervorriefen. Die Sinnfälligkeit von Unverkäuflichkeit wurde präsent, wenn Berger zu seinen absurden Verkäufen menschlicher Organe an fiktive Interessenten anhob.

Grundlage dieser gemeinsamen hochkomplexen Arbeit, die nur auf der Oberfläche einem assoziativen Erzählen gleicht, war Bergers und Muñoz` wortloses Einverständnis. Der Kulturkritik an der Kapitalisierung aller Erscheinungen setzten sie das Geschenk der realen Gegenwart entgegen. Das Laute, Lustige, Spielerische im Entstehungsprozess korrespondierte mit der spielenden Stille auf der Bühne der zwei kongenialen Künstler und Freunde.

In der Kunst gibt es keine Begrenzungen zwischen Gattungen und Jahrhunderten, zwischen Lebenden und Toten.

Berger endet: „ Goya is going back to work in his studio. Now he is painting. Can you hear him? Faces appear on the canvas. Then they disappear. All have gone.“

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