„Hey Joe“. Kommentar zu den Fußball-Sonderheften anlässlich der Bundesliga-Saisoneröffnung. Die ZEIT, 26.Juli 2001
Von Tom Stromberg
Endlich werde ich mal nicht zum Theater, sondern zum Fußball gefragt. Die Sonderhefte von „Kicker“ und „Sport Bild“ sind da.
Der „Kicker“ ist und bleibt natürlich das Original! Herrlich, dieser Riesen-Schriftzug „BUNDESLIGA“ mit der Schrägbanderole „2001 2002“! Und das altmodische Wackelbildchen im Titelblatt – Lentikular nennt sich so was in der Fachsprache, habe ich mir sagen lassen. Mein Liebstes ist natürlich die „Super-Stecktabelle“. Vor jeder Saison löse ich sie mit zittrigen Fingern voller Erwartung auf Kommendes aus dem Heft.
Das Editorial des „Kicker“ gibt sich moralisch. „Gehen endlich alle Vereine verantwortungsvoll mit den Finanzen um?“, wird die bewegendste Fußball-Frage für die nächste Saison gleich auf den Tisch gebracht. Nicht nur im Theater gibt´s ständig diese Finanzdebatten. Schön finde ich auch, dass endlich einmal jemand Mitleid mit den Schiedsrichtern zeigt: „Sind die Schiedsrichter dem erhöhten Tempo des Spiels und der gesteigerten Cleverness der Spieler (manchmal kann man auch zu Recht Betrug dazu sagen) noch gewachsen oder brauchen wir endlich technische Hilfsmittel?“. Wir merken gleich: Hier spricht der verantwortungsbewusste Chefredakteur (während „Sport Bild“ nur den stellvertretenden Chefredakteur lockermacht).
Nur die Frage „Schafft der FC Bayern als erste deutsche Mannschaft den vierten Meistertitel in Folge?“ irritiert mich etwas: Selbstverständlich, welche Frage!
Fazit: 232 Seiten für DM 9.
„Sport Bild“ verrät dagegen schon in der Titelbildgestaltung seine Neigung zu modernster Technik, die aufs deutlichste unterstrichen wird durch eine ganz, ganz neue CD-ROM zum Thema „Dribbeln & Tricksen“, die Deisler uns entgegenhält. „Ballzauber – Lernprogramm für das interaktive Eigentraining, präsentiert von Rudi Völler und Sebastian Deisler“ wird uns da versprochen. Mit den „64 Trainingstipps für alle“ dürfte meinem beruflichen Wechsel nach meiner Theaterlaufbahn dann ja eigentlich nichts mehr im Wege stehen. Na ja, etwas aufmunternder könnte Deisler dazu schon gucken … Vielleicht tut er das auf dem „Super Poster: Deisler ganz groß“ im Innenteil. Zum Aufklappen. – Auch nicht.
Die erste Seite verspricht: „Wir geben alles – exklusiv und nur für Sie“. Allerdings verwundert dann doch sehr, dass im Editorial der stellvertretende Chefredakteur uns seine Liebe zu Jimi Hendrix andienen möchte. Oder wie sollen wir den Hinweis „Kennen Sie eigentlich Jimi Hendrix“ verstehen? Soll das eine Aufforderung zu einer neuen Drogen- und Dopingpolitik sein? Warum gerade im Editorial eines Fußball-Sonderheftes? Jimi Hendrix, das ist doch der, der während eines Konzerts seine Gitarre in Brand gesetzt hat. Soll etwa die kommende Saison mit einem brennenden Fußball … Fragen über Fragen lassen den Leser verwirrt zurück. Abgefahren.
Aber vielleicht erwartet uns ja auch nur eine superspannende Bundesliga, wenn die Ballkünstler sich ein Beispiel nehmen an der Virtuosität von Jimi Hendrix an der Gitarre.
„Sport Bild“ punktet dann mit dem Einsatz von „Hintergrund“- Netzer, der uns exklusiv die Fußballtypen erklärt, vom „Kämpfer“ über den „Künstler“ zum „Stehgeiger“. Jede Mannschaft, philosophiert Günter Netzer, braucht natürlich auch einen Wortführer, am besten mehrere. Damit sich das nicht in beliebigem Stimmenwirrwarr verliert, rät Netzer: Die Wortführer „müssen zum Schluss eine Sprache sprechen, die Sprache des Erfolges.“ Ach. Und Jupp Heynckes wägt ab, sinnigerweise mit der Waage in der Hand: „Wo gibt´s den besten Fußball?“. Dank „Sport Bild“ weiß ich jetzt auch, dass Michael Schjönberg von Kaiserslautern in der vergangenen Saison die meisten Ballkontakte ohne Torschuss hatte – nämlich begnadete 502. Und die geistige Eloquenz von Felix Magath beeindruckt mich ein weiteres Mal, wenn ich seinen Ausspruch bewundere: „Schach ist für mich neben Fußball der schönste Sport, weil es aufgrund der Figuren auch ein Mannschaftssport ist“.
Fazit: 242 Seiten für DM 6.90.
Da fällt es wirklich schwer, den Sieger zu ermitteln. Beide Hefte sind gespickt voll mit Zahlen und Fakten. „Sport Bild“ liefert dem Leser mit der „ran“-Datenbank auf 16 Seiten wirklich alle nur erdenklichen Zahlen. Bayerns Co-Trainer Henke hat zu Recht erkannt, dass die Mannschaft mit den meisten Zweikämpfen meist als Sieger vom Platz geht – Fußball als Spiegelbild der Gesellschaft? Aber „Kicker“ verrät uns dafür noch, dass sich der Fußball nun endlich vom Wetter unabhängig machen will: „Mit der `Arena auf Schalke` gibt es in der Bundesliga erstmals ein Stadion, dessen Dach ganz zu schließen ist.“ Oder doch nicht … „Während der Spiele jedoch muss es offen bleiben“.
Als stolzer Besitzer eines Premiere Decoders bin ich natürlich völlig wetterunabhängig und bereit zur Saisoneröffnung. Beide Elaborate liegen auf meinem Tisch zur Samstagnachmittag-Lektüre bereit. Die Stecktabelle hängt an der Wand und egal, wie die Saison läuft: Bayern steckt bei mir immer auf Platz 1! Und so bleibt es bis zum Ende der Saison. Dahinter werden folgen: 2. Dortmund, 3. Hertha, 4. Schalke, 5. Leverkusen.